Freigabe erteilt

Für Werner, den besten Texter unter meinen Chefs, der mich nie korrigierte, obwohl ihm sicher nicht alles gefiel.

Es kann ein durchdachtes Konzept, ein mühsam gestricktes Projekt, eine kunstvoll gestaltete Broschüre, einfach nur ein hübsches Logo oder ein banaler Text sein: Angestellte oder Freiberufler, die ihr Tagwerk erst mit dem Segen des Chefs oder Kunden zum Abschluss bringen können, haben für die angeblich „flachen Hierarchien“ oder die gönnerhaften „Das-machen-Sie-schon-Freiheiten“ bestenfalls ein verzweifeltes Lachen übrig.

Denn die Realität beweist jeden Tag aufs Neue: Freigabeverfahren sind kompliziert, aufwändig und die Nerven des Schöpfers arg strapazierend. Und dabei spreche ich noch nicht mal von Prozessen, die auch die Gunst Dritter, sprich von Kunden oder Partnerfirmen erfordern – nein, ich beschränke mich auf die Interna einer Firma und die diversen Absurditäten, die Hierarchien mit sich bringen.

Exkurs: Apropos Kunde! Wenn es Robert Lemke und die TV-Sendung „Was bin ich“ noch gäbe, und sich ein Art Direktor einer Werbeagentur mit einer Handbewegung vorstellen müsste, dann würde er einen imaginären Telefonhörer auf die Telefongabel knallen und laut dabei rufen „So ein Idiot“, wahlweise etwas rustikaler „Du A….!“ . Genau, er hatte gerade mit einem Kunden telefoniert … ich habe es unzählige Male erlebt.

Nun, ich bin Freiberufler und genieße durchaus meine hart erkämpfte Unabhängigkeit. Aber ich schreibe Texte aller Art für Kunden, die dafür bezahlen. Meine Preisberechnung orientiert sich dabei u.a. am Freigabeprozess – gestaffelt nach Anzahl, Position und Persönlichkeit derjenigen, die daran beteiligt sind.

Denn: Es gibt in Kommunikationsabteilungen einfach zu viele Menschen, die den „Austausch“ zu jedem Halbsatz suchen und sich gerne am Komma in der vorletzten Zeile im letzten Absatz eines Textes (den eh keiner liest) festbeißen. Und es gibt einfach zu viele Wächter von Corporate Identity und Corporate Design, die sich enthusiastisch auf die Fährte möglicher Verstöße begeben.

Ich begegne dabei immer wieder zwei Phänomenen. Ich erhalte

  • entweder die Nachricht, dass alles passt, nachdem man generös selbst einige Fehler ausgemerzt hat. Allerdings finde ich dann in der Endversion bestenfalls einen Buchstaben, den ich vergessen hatte, oder
  • den Text mit einer kleinen Korrektur zurück, die ich übernehmen und dann die modifizierte Datei doch bitte nochmals zur endgültigen Freigabe schicken solle.

Nach unten oder nach oben: Die eigene Macht bzw. Wichtigkeit zeigen oder die Firmeninstanz darüber fürchten – eines (oder auch beides) ist der Hauptmotor hinter jeder Freigabe. Ich habe mir deshalb im Laufe der Jahre ein gehöriges Maß an stoischer Demut zugelegt.

Allerdings gibt es „auf der anderen Seite“ des Textes zwei Typen von „wichtigen“ Menschen, denen ich nur mit den „Fünf Tibetern“ oder einer eilig durchgeführten Bachblüten-Therapie begegnen kann. Da ist zum einen der verhinderte Deutschlehrer, der am ausgedruckten Text mit gezücktem Füllfederhalter eine sprachliche Finesse rot unterringelt und am Rande der Zeile mit „Ausdruck“ markiert. Der gerne eine Belehrung hinzufügt und mir den Text samt Korrekturen entweder als PDF zurückschickt oder gar faxt.

Und dann ist da der Chef, der lauthals delegiert und vollmundig alles anderen überlässt und im eMail-Verkehr keinesfalls auf Cc. gesetzt werden will. Der aber das mit allen Fachabteilungen abgestimmte, fertige Ergebnis voller Wollust „zerreißt“ – bevorzugt genau dann, wenn es online gegangen oder offiziell verschickt worden ist.

„Muss ich denn alles selbst machen?!“ Es scheint wohl so.

Zum Schluss will ich eine Schwäche meinerseits nicht vergessen. So, wie ich mich oft und gerne verlaufe, verliere ich in längeren Freigabeverfahren irgendwann den Überblick. Was heißt: Spätestens nach der fünften Korrektur-Schleife weiß ich nicht mehr, was ich eigentlich geschrieben habe – und kommt zum Schluss ein Ergebnis heraus (und wird veröffentlicht), das vor orthographischen und logischen Fehlern strotzt.

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