Als ich kürzlich in einer Diskussionsrunde mal wieder so richtig in Fahrt war und angesichts der Fülle meiner Argumente keinen ausreden ließ (ich wusste eh, was die anderen sagen würden), meinte ein guter Bekannter, der bei solchen Gelegenheiten gerne still dem Wettstreit der Worte und Meinungen folgt, wohlmeinend zu mir: „Zuhören ist nicht unbedingt deine Leidenschaft.“ Er hätte statt „Leidenschaft“ auch das Wörtchen „Stärke“ verwenden können, es hätte noch besser gepasst.
Als ich kürzlich in privater Gesellschaft nicht mehr aufhören wollte, von meiner aufregenden Jugend, meinem anspruchsvollen Job, den originellen Anekdoten meines Lebens und selbstverständlich von meinen prächtig gelungen Söhnen zu erzählen, meinte deren Mutter weniger wohlwollend zu mir: „Es redet wieder mal nur einer. Du.“
Bin ich tatsächlich so egozentrisch? So ohne jegliche Empathie für Situationen und Mitmenschen? Überrumple und überfordere ich andere und bin zuweilen einfach unsäglich anstrengend? Die Antwort darauf ist ein großes, hoffentlich nicht allzu großes JA.
Jede Ehrlichkeit, zumal gegenüber sich selbst, hat ihre Grenzen, weshalb ich als einen nicht unwichtigen Grund für die beschriebene Eigenschaft zuallererst Erfahrungen aus meiner Jugendzeit anführe. Ich war nämlich Teil einer Clique, deren Schweigen in der Kneipe mich erst zum Geschichtenerzähler machte.
40 Jahre später mag diese Erklärung kaum mehr dazu taugen. Wenngleich ich dem Prädikat „einzigartig“ nicht abgeneigt bin, kommt es mir in Kombination mit der Beschreibung „Lautsprecher“ ziemlich unsympathisch und auch ein wenig erbärmlich vor. Bin also nur ich derjenige, der gerne „meinungsstark“ andere unterbricht, in ewigen Wiederholungen die Gegenüber eher zermürbt als überzeugt? Den die anderen Menschen und ihre Bedürfnisse kaum interessieren?
Ich wollte es ganz wissen und startete vor ein paar Wochen eine umfassende Testreihe, was mir hinsichtlich Datenerhebung angesichts einiger Freunde, Bekannten und mannigfaltiger ehrenamtlicher Tätigkeiten nicht schwerfiel, denn: Ich bin viel unterwegs und treffe viele Leute.
Meine Studie besaß nur eine Prämisse: Ich halte meinen Mund und versuche so wenig wie nur möglich von mir zu erzählen. Ich wollte empirisch untersuchen, ob andere zuhören können und sich für die Welt jenseits ihrer Privatsphäre interessieren. Ja, ich wollte auch prüfen, ob ich und mein kleiner Krebs-Kosmos irgendjemand dazu animieren bei mir nachzufragen.
Kurzer Einschub: Da die Gefahr besteht, dass die ungefragten Teilnehmer an meiner Testreihe diese Zeilen lesen, behaupte ich, es gab zwei bis drei Probanden, die empathisch und höchst interessiert den Mitmenschen zuhörten, zumindest höflich beim Gegenüber (also mir) nachfragten, wie es denn ihm so ergehe. Sollte mich also jemand auf diesen Text ansprechen, gehört er selbstverständlich zu den drei genannten Personen.
Das Ergebnis der Studie ist überdeutlich. Von 42 Mitmenschen (45 minus drei, siehe Einschub), mit denen ich länger als 15 Minuten in ein Gespräch verwickelt war,
- fiel es keinem explizit auf, dass ich nichts von mir erzählte,
- fragte mich einer, was denn meine Söhne so machen,
- wollten drei wissen, wie es meiner Frau (und damit indirekt unserer Ehe, denn Futter für den neueste Tratsch ist immer willkommen) geht,
- erkundigte sich einer nach meinem Job,
- waren die von 2. bis 4. genannten Personen mittels einer kurzen Gegenfrage von mir sofort wieder bei sich und ihrem Thema
- und hatten 5 ein Anliegen an den Stadtrat Krebs, das sie mit einem anfänglich geheuchelten Interesse an meiner kommunalpolitischen Arbeit zu kaschieren versuchten.
Ich werde die Testreihe nicht fortführen und auch nicht wiederholen, denn die Erkenntnis daraus beschreibt letztendlich nur das Bild in dem Spiegel, vor dem ich stehe. Einerseits.
Andererseits ist dieses Nicht-Interesse vielleicht auch der Kit, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Der das Potenzial für private Streitthemen drastisch reduziert und die Basis dafür ist, dass man sich gegenseitig in Ruhe lässt. Wer schon einmal zwei alten Menschen bei einer Unterhaltung zugehört hat, weiß, dass der eine nie auf den anderen antwortet. Man wird Zeuge von zwei Reden, getarnt als Dialog, die inhaltlich häufig nichts miteinander zu tun haben.
Und ja, es funktioniert.