Spät aufstehen, früh trinken … (Pandemie-Beobachtungen, Teil 2)

„Es kommt auf die Perspektive an.“ Aus dieser, von Albert Einsteins Relativitätstheorie abgeleiteter Erkenntnis kocht die Pandemie gerade ein hochexplosives Konzentrat menschlicher (Nicht-)Gemeinschaft. „Es kommt auf die Perspektive an“ – noch vor der Angst einer Erkrankung gärt in mir die Unsicherheit, was denn nun der beste Weg aus dem Virus-Dilemma ist.

Und es wächst die Befürchtung, dass diese Zerreißprobe unserer Gesellschaft dauerhafte Schäden und soziale Deformationen hinterlässt. Vielleicht sollten wir einfach viel mehr über uns selbst lachen – und über die täglichen Absurditäten, in denen wir uns mit Hingabe austoben.

Bereits im ersten Teil der skurrilen Beobachtungen und Gedanken in Lockdown-Zeiten musste ich staunend zugeben, dass man sehr seltsame Dinge macht, wenn die Zeit dafür vorhanden ist. Und dass gerade die Kommunikation sich völlig neue Felder erschließt, zum Beispiel

  • an der dichten Thuja-Hecke zur Straße hin, in der Ameisen (und markierende Kater) an einer bestimmten Stelle den jährlich neu gepflanzten Lebensbaum sterben lassen. War dies bis einschließlich 2019 ein großes Ärgernis, so ist es seit vergangenem Frühling eine gerne genutzte „Kommunikationslücke“ zu vorbeikommenden Spaziergängern. Eine Thuja wird hier erst einmal nicht mehr gepflanzt.
  • auf den neu gezimmerten „Corona-Bankerl“, die hüben wie drüben eines Gartenzauns den Nachbarn beim abendlichen Plausch als bequeme Sitzgelegenheiten dienen. Sprach man früher kaum ein Wort miteinander, freut man sich heute auf das alltägliche „Lasst uns ein Bier trinken-Ritual“.
  • auf Facebook, wo lustige Frage-Spielchen uns nicht nur verraten, welches Tier wir sind und wie unglaublich gut (und sehr prominent) wir im Alter aussehen, sondern auch, mit wem wir nach dem Virus süßen Kuchen essen, Alkohol saufen und einiges mehr.
  • im Fernsehverhalten. Pünktlich zum ersten Lockdown haben wir uns Abos für Disney plus und Netflix zugelegt – für mich zwei völlig neue Welten, durch deren Serien-Flut ich haltlos stolpere. Bin ich früher um 3 Uhr in der Nacht einmal aufgewacht, las ich etwas, trank ein Bier und schnarchte eine halbe Stunde später wieder im Bett. Heute dauert die Entscheidungsfindung zwischen „Blacklist“, „The Whitcher“, „Big Bang Theorie“ und „Haus des Geldes“ die erste halbe Stunde, die restliche Zeit bis 7 Uhr verbringe ich mit Folge 5 bis 8 der Staffel 6 … oder war es die Staffel 5 und … tatsächlich: es ist völlig egal.

Apropos Bier: Während des Lockdowns ziehen sich die Besuche im Getränkemarkt dramatisch in die Länge. Hatte man vorher je eine leere Kiste Wasser und Bier auf dem Einkaufswagen, so sind es jetzt zwei Kisten Wasser und vier Kästen Bier. Das ist an sich noch nicht das … „hicks“ … Problem, aber die fünf Herren an der Kasse vor mir, die auf das Wasser zugunsten von sechs und mehr Trägern Bier gänzlich verzichten. Sowohl beim Leergut abgeben als auch beim Vollgut (warum sagt man das eigentlich nicht so?) bezahlen – es dauert.

Moment, ich habe vergessen, dass ich zwischendurch noch einmal zum Getränkemarkt muss, um meinen Jungs (13 und 16 Jahre) Sprite, Spezi, ISO-Sportschorle „Lemon“ und Coke Zero in ausreichender Menge zu besorgen. Abgesehen davon, dass die nächste Generation ein Limo, ein Kracherl, ein Gwasch einen Apfelsaft oder ein Cola gar nimmer kennt, hat der Lockdown die familiäre Machtübernahme beschleunigt und frühzeitig vollendet. Unter anderem mit einem völlig veränderten Tagesrhythmus, denn:

  1. Die Eltern gehen um 22 Uhr ins Bett, damit die Jungs danach in Ruhe am Fernseher zocken können.
  2. Gefrühstückt wird um 11 Uhr, kurz nachdem der Nachwuchs aufgestanden ist und vier Stunden, nachdem der zunehmend hungrige Vater zu arbeiten begonnen hat.

Kommunikationslücke, Corona-Bankerl, Bierkonsum, Facebook-Spielchen, Netflix und spätes Frühstück. Auch, wenn die eingangs beschriebene Unsicherheit mein Denken bestimmt, eines weiß ich gewiss: Diese Dinge werden bleiben, genauso wie sie jetzt sind.

Bild von Manfred Richter auf Pixabay

 

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