Ohne Krimi geht der Bernhard nicht ins Bett

Ich gehöre zu den Menschen, die keine Überraschungen mögen, von anderen initiierte Geburtstags-Partys „Surprise“ sind mir zum Beispiel ein Gräuel.

Ich besuche deshalb auch nur sehr ungern ein Krimi-Dinner, denn bei solchen Veranstaltungen ist es nicht selten der Gast, der gemeuchelt wird. Sollte, weil Überraschungsgeschenk, ein solches dennoch unvermeidlich sein, dann trinke ich den Abend nichts, um möglichen Giftattacken zu entgehen, und achte ich darauf, dass keiner mit einem gezückten Messer hinter mir steht.

Was mich aber nicht daran hindert, dass ich leidenschaftlich gerne Krimis lese. Sehr viele sogar.

ABER: Ich vertrage keine Grausamkeiten und kaum Spannung. Ich bin also das, was man wenig schmeichelhaft ein „Weichei“ und ein Sensibelchen nennt – wie es vor etlichen Jahren erstaunt eine junge Dame feststellte, als der große, dicke Kerl auf dem Sofa neben ihr sich standhaft weigerte, mit ihr den Psycho-Thriller „Heute Nacht bringe ich die Kinder meiner Nachbarin um, nachdem ich erst beim Koitus ihren Mann qualvoll erwürgt habe und danach die ganze Straße ausrotte“ anzuschauen.

Ich weiß, Frauen lieben solche Filme. Ich aber bin dafür nicht robust genug.

Und dann die Spannung! Bis zum Schluss nicht zu wissen, wer der Mörder ist, und noch wichtiger, wo das nächste Opfer auf seinen vorzeitigen Tod wartet – ich halte das nicht aus.

Und dennoch lese ich gerne Krimis. Dem Dilemma entfliehe ich, indem ich zuallererst auf die letzte Seite blättere. Wenn die Auflösung des Falls schon früher beschrieben wird, dann eben auch auf die vorletzte und die drittletzte Seite.

Diese Entscheidung hat wesentlich zur entspannten Lektüre eines Krimis beigetragen. Ich weiß sofort Bescheid und kann mich ganz dem widmen, warum ich eigentlich Krimis lese: Ich treffe alte Freunde und verbringe einen oder mehrere entspannte Abende mit ihnen. Ich

  • sitze gerne mit Maigret bei einem Glas Weißwein und schweige,
  • trinke mit Inspektor Thomas Lynley einen Whisky in einem britischen Pub
  • oder spaziere mit Commissario Guido Brunetti durch die Gassen Venedigs und verhehle dabei nicht, dass ich für Signorina Elettra eine besondere Zuneigung hege

Auf dem Bock eines Leiterwagen mit Miss Marple, mit Sherlock Holmes übers schottische Moor oder, wenn es nötig ist, auch gerne mal ein depressiver Abend mit Kommissar Kurt Wallander – ein guter Krimi ermöglicht es mir, Welten kennen zu lernen, Dinge zu essen und Leben zu leben, für die ich gar keine Zeit gehabt hätte.

Ich finde es schön, solche Freunde zu haben. Damit ein Krimi mir gut gefällt, muss ich das Gefühl haben, gerne mit den Protagonisten unterwegs zu sein. Spätestens ab Seite 10 weiß ich dann: Ich bin einer von ihnen – übrigens auch eine schlüssige Erklärung, warum ich mit Hunde- oder Katzenkrimis wenig anfangen kann. Ich als Kater, mit Verlaub, irgendwo hat meine Fantasie ihre Grenzen.

Warum ich Krimis mag und ihren Schluss zuerst lese – es gibt noch einen Grund: Im Gegensatz zu den Psycho-Thrillern der damen siegt fast immer das Gute und der Gerechtigkeit wird Genüge getan. Für mich sind Krimis unterm Strich deshalb immer auch ein Stück heile Welt.

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