Die tägliche Provokation

Ich bin heiser. Nein, keine Sorge, ich bin nicht erkältet. Ich bin aber Vater eines 15jährigen Sohnes

Es hat alles damit begonnen, dass mich gestern meine Frau beim familiären Abendessen aufgefordert hat: „Jetzt sag Du mal was.“ Ich gebe zu, ich war etwas unkonzentriert gewesen und musste mir erst aufgrund der spürbaren Anspannung, die zwischen der Mutter und ihrem daneben sitzenden Sohn herrschte, erschließen, dass es um Erziehungs-Fragen ging. Ich halte mich bei diesen Dingen gerne raus, weil ich aus Erfahrung weiß: Bei solchen Konfrontationen gibt es zum Schluss nur einen Verlierer – mich.

Weil ich aber mit den Gedanken woanders war, machte ich den entscheidenden Fehler und meinte grinsend zu meinem Sohn: „Jetzt lass doch endlich Deine Mutter in Ruhe, sei brav und gehorche ihr einfach.“ Der lachte nur höhnisch auf, der Blick meiner Frau wechselte in Sekundenbruchteilen von „genervt“ in „tödlich“, was mich zur einzigen, mein Leben rettenden Maßnahme greifen ließ: Ich nahm mir meinen Sohn zur Brust.

Eine solche Auseinandersetzung eskaliert ohne Anlauf, denn im Gegensatz zur Mutter-Sohn-Konstellation, die niemals aus dem Rahmen der begründeten Erziehung (man bekommt immer sehr viel Begründung mit) fällt, ist das Aufeinandertreffen zweier Testosterongesteuerter männlicher Menschenaffen von einer unglaublichen Dynamik gekennzeichnet. Da wird nicht lange gefackelt, sondern gleich die härtesten Geschütze aufgefahren, die vom PC-Verbot bis hin zur absoluten Machtdemonstration reichen, die in dem Satz „So lange Du Deine Füße unter meinem Tisch…“ gipfeln.

Natürlich gibt der Sohn nicht nach; angesichts seiner Größe und des Umstands, dass er mittlerweile den schwarz-roten Gürtel im Taekwondo trägt, hoffe ich dabei immer, dass mein Sohn so gut erzogen ist wie ich einmal war. Als ich nämlich als 15jähriger von meinem Vater eine (durchaus verdiente) Ohrfeige bekam, stand ich heulend vor ihm. Auf seine Frage, dass es doch nicht so weh getan haben könne, meinte ich damals: „Ich heule nicht wegen der Schmerzen, sondern weil ich nicht zurückschlagen darf.“

Zurück zu meinem Sohn, zurück zur lebendig gewordenen Provokation. Es beginnt morgens, wenn er sich einfach weigert aufzustehen und ändert noch lange nicht damit, dass er auf Fragen, Bitten oder auch Aufträge nicht antwortet. Er ignoriert mich stoisch – und wenn er sich dann doch einmal in Bewegung setzt, dann betont langsam. Ein Beispiel-Szenario am Essenstisch: Ich zu ihm „Reichst Du mir bitte mal das Ketchup herüber.“ Daraufhin beginnt er, die Flasche zu öffnen und genüsslich und mit aller Ruhe, die ihm gegeben ist, jedes einzelne Pommes mit einem kleinen Klecks Ketchup zu versehen.

Dass er alle Manieren, die er als Kleinkind besaß, mittlerweile verlernt hat … nun, das ist eher das Schlachtfeld, auf dem sich Mutter und Sohn tummeln. Ebenso die sich regelmäßigen Diskussionen, in denen der Nachwuchs zeigt, dass er zum „Besserwisser“ mutiert ist, der IMMER widerspricht … sofern er eine Antwort gibt

Was haben wir nur falsch gemacht? Nicht selten ist unsere Verzweiflung groß! Wenn ich dann aber abends durch die Siedlung gehe, wärmt es mein Herz, wenn ich aus jedem zweiten Haus, wo der Nachwuchs gerade die Eltern triezt, Geschrei höre und weiß: „Ich bin nicht allein.“

Es könnte beruhigend sein: Laut Psychologen ist die Phase der Pubertät in zwei, drei Jahren vorbei – und sollte es das vorderste Ziel der Erziehungsberechtigten sein, dass sie dann noch mit ihren Kindern sprechen. Nur noch zwei Jahre also … dumm nur, dass ich Vater von zwei Söhnen bin. Der „Kleine“ ist gerade 12 geworden und war schon als Kind viel renitenter als sein großer Bruder.

 

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