Weihnachtsbrief 2023

„Und was macht Ihr so an Weihnachten?“ Es ist nur eine Frage, die es allerdings in meiner Kindheit nicht gegeben hat.

Klar, meine Eltern haben sich vielleicht bei Freunden und Bekannten erkundigt, wo man die Weihnachtsfeiertage verbringt – um sich anschließend gegenseitig zu versichern, dass man auf die unvermeidlichen Fahrten zu den Eltern bzw. den Pflichtbesuch bei den Schwiegereltern (wer erhält an welchem Feiertag den Vorzug?) gerne verzichten würde.

Allein: Der Heiligabend war „heilig“.

Jede Familie hatte an diesem Tag, an diesem Abend seine Rituale, die neben der Christmette auch die „Würste mit Kraut“ beinhalten konnte. Solange die Kinder nicht eine eigene Familie gründeten und damit manche Tradition gleichzeitig beendeten und fortführten (in der Regel bestimmte die Familie der Frau indirekt die neuen Rituale), wiederholten sich die Heiligabende.

Und das war gut so, denn es war alternativlos.

Selbst als junger Erwachsener, der in München oder Hamburg studierte, kam ich am 23. Dezember nach Hause, um diesen Abend erst beim Christbaumschmücken und anschließend mit Freunden in der Kneipe „Graf Babo“ zu verbringen, bevor der Heiligabend seinen immer gleichen Verlauf nahm: Ein karges Frühstück, dann zur „Großen Oma“, die an diesem Tag Geburtstag hatte, anschließend bei Großtante Gerda vorbeigeschaut (sie wohnte im gleichen Haus), nachmittags Kindermette, danach mit meiner Schwester Karin unserer Mama zugeschaut, wie sie warm-kalte Platten u.a. mit Russischen Eiern vorbereitete. Dem Abendessen zu viert folgten der unvermeidliche Abwasch (da hatte Mama kein Erbarmen) und die Beschwerung – bis schließlich die ganz Sippe hereinbrach und sich zur Weihnachtsschallplatte von Peter Alexander und Heintje über die Ananas-Bowle, die Plätzchen und den Becherovka hermachte.

Änderungen gab es nur, wenn einer starb. Jeder Tod war auch ein Stück Abschied vom geliebten Weihnachten der Kindheit. Heute wird es mir immer warm ums Herz, wenn meine Schwester und ich uns daran erinnern – oder ich mich mit Freunden über deren Rituale und Traditionen unterhalte. Es ist tröstlich, dass die allermeisten von uns dieses besondere Geschenk erhielten.

Adventskalender
Adventskalender

„Und was macht Ihr so an Weihnachten?“ Ich weiß, das ist eine ketzerische These, aber schon in meiner Jugend zeigte das „Und was macht Ihr so an Silvester?“ das grundsätzliche Dilemma auf: An die Stelle des festen Rituals tritt die Freiheit der individuellen Gestaltung.

Weil ich gerne entscheide, mag ich grundsätzlich Alternativen. Aber ich weiß auch um die Sorge, bei einer Auswahl etwas verpassen zu können. Glücklicherweise habe ich dank der wunderbaren Mutter meiner Söhne ein Weihnachtsritual, aber ich beobachte natürlich immer häufiger, dass Silvester per „copy and paste“ jetzt auch an Heiligabend gilt.

Heiligabend beim Skifahren in Kitzbühel, schnorchelnd auf den Malediven oder laut feiernd in New York. Oder doch lieber zuhause, nur wen lade ich dazu ein? Die Einladungsliste zu Fondue oder Raclette gestaltet sich diffiziler als zur Geburtstagssause. Oder ist ein Fernsehabend allein oder zu zweit eine gute Option? Zumindest das TV-Programm hält sich an Rituale …

Der moderne Mensch ist stets nach der Suche nach etwas Besserem, denn: Gut ist nie gut genug. Das zeigt sich auch an Weihnachten und dem mittlerweile drei Monate langen Advent mit der Hatz nach Superlativen, die in blinkende Weihnachtsbeleuchtung, makellose Adventskränze weithin leuchtende Christbäume gegossen werden.

Ich gebe zu, ich mag das Bunte, Maßlose und Ausufernde – und genieße mit großer Freude den Weihnachtskitsch. Solange ich meine Rituale habe und mich gelassen daran erfreuen kann, wenn sie eben nicht das Bessere sind. Meine weihnachtliche Nächstenliebe schließt den einzigen, nicht völlig makellosen Christbaum vom Lieblingsgärtner Fischer ebenso mit ein wie die leiernde Kassette mit dem kleinen Trommelmann und das von mir verkohlte Schokoladenbrot, das wegen Mama trotzdem immer mein Lieblingsplätzchen bleiben wird. Und dass das Weltenburger Dunkel, das ich wegen Papa mir an Weihnachten schenke, hin und wieder auch Kopfschmerzen beschert … egal.

Lasst uns in diesen Tagen auch das Unvollkommen hochleben. Ich wünsche euch ein alternativloses Weihnachten und ein Neues Jahr, in dem man schon mal stolpern darf, solange es nicht allzu weh tut und man danach wieder lachen kann.

Bernhard

Twitter
Visit Us

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top
Twitter
Visit Us