Hubertus, die Mülltonne der Familie aus dem 4. Stock, liebt die Ruhe. Elf Monate im Jahr genießt er das Leben, steht im Hinterhof des Mehrfamilienhauses ziemlich versteckt in der Ecke und wird nur alle zwei Wochen von Müllmännern hervorgeholt, die ihn. Daran und an den kurzen Flug zur Müllwagen-Luke hat er sich längst gewöhnt, ebenso, dass ihm jeden Tag der Familienvater einen Müllsack zum Fressen gibt.
Ansonsten vermeidet Hubertus gerne Aufregungen, und er mag keinen Lärm. Er hat nämlich sehr empfindliche Mülltonnen-Ohren, die vier Wochen im Jahr besonders leiden – und zwar, wenn im Advent aus allen Lautsprechern durch die Fenster des riesigen Hauses besinnliche Weihnachtslieder laut schallen. Besonders der Vater seiner Familie singt immer laut „Little Drummer Boy“ mit, da hilft es auch nichts, wenn man sich die Ohren zuhält.
Hubertus hasst die Adventszeit.
Und als er gerade wieder einmal seinen Weihnachtsfrust vor sich hin brummelt, stampft der Weihnachtsmann laut schimpfend durch die Toreinfahrt in den Hinterhof. Vor Hubertus angekommen beklagt er sein Leid: Er vermisst nicht nur seine amerikanische Weihnachtsfrau, den Nordpol, die Elfen und das Rentier Rudi – er hat einfach genug davon, dass sich in der Adventszeit alles nur noch um Geschenke dreht.
„Ich mache das jedenfalls nicht mehr mit“, tut der Weihnachtsmann seine Entscheidung kund, hebt den Deckel der Mülltonne hoch und stopft seinen Bart, seinen Schal und den Sack mit den Geschenken in Hubertus. Noch bevor sich jener versieht, stapft der Weihnachtsmann laut lachend davon … und gibt sich fast mit dem Weihnachtbaum vom Stadtplatz die Hand. Auch der ist stinksauer und gar nicht adventlich aufgelegt, denn heute Morgen hatten sie direkt neben ihn vierundzwölfzig Plastik-Christbäume aufgestellt. „Ja, wo kommen wir denn hin, wenn hier gar nichts mehr echt ist“, tobt der Baum und schleudert Kugeln, Lametta und Stern in Hubertus.
Kaum ist der eine verschwunden, taucht der andere auf. Diesmal ist es Knecht Ruprecht, der Hubertus nicht seine verdiente Ruhe gönnen will. Der Gehilfe vom Heiligen Nikolaus heult fast, als er der Mülltonne seinen groben Sack und die Rute feierlich übergibt: „Da hat mich doch wirklich so ein freches Kind gezwickt. Nein, da will ich kein Ruprecht und auch kein Krampus mehr sein. Basta!“
Nachdem sich der wilde Geselle getrollt hat, erscheint schon der nächste Besuch im Hinterhof. „Hallo, wer seid denn Ihr und was macht Ihr da?“, fragt Hubertus die beiden kleinen Engel, als sie ihre Flügelchen und Fanfaren einfach ablegen. „Wir sind Putten“, erklärt der weniger traurige Engel, „und haben keine Arbeit mehr. Wir können nämlich mit unseren Instrumenten keinen Weihnachts-Rap spielen.“ Und sein Kollege ergänzt „Wollen wir auch nicht!“ – und schon fliegen die beiden weg.
Gerade, als Hubertus vorsichtig die zurück gelassene Fanfare mal ausprobieren will, hört er ein lautes Zischen. Sekunden später steht der zornig funkelnde Stern von Bethlehem vor ihm und reißt sich mit einem einzigen Ruck seinen Schweif von der hintersten Sternzacke: „Wenn Millionen Lichterketten schon im Oktober leuchten, sieht mich doch kein Mensch mehr. Sollen sie hier unten doch noch mehr blinkende Glühbirnen einschalten – ich KÜNDIGE!“
„Kündigen? Das tue ich auch“, erklingt da eine feste Stimme. Erhobenen Hauptes schreitet der Heilige Nikolaus auf Hubertus zu und steckt rigoros seinen Hirtenstab in die verdutzte Mülltonne. Mit einem lauten „Nichts gegen meinen Kollegen, aber ich bin nicht der Weihnachtsmann! Ich bin der Heilige Nikolaus von Myra“, verschwindet er wieder um die Ecke.
Hubertus fühlt aufgrund der vielen Dinge, die in ihn hineingestopft worden sind, bereits ein großes Völlegefühl, aber es soll immer noch nicht genug sein. Denn da kommen drei Kinder herbeigeeilt, die mit ihren Geschenken den letzten, klitzekleinen Platz in Hubertus füllen.
„Ich brauche nicht so viele Müll-Geschenke“, meint das eine Mädchen.
„Und mir ist ganz schwindelig von den vollen Schaufenstern“, klagt das andere.
„Und ich will lieber, dass Papa mit mir spielt“, sagt der Junge traurig.
Mit gesenkten Köpfen trotten die Kinder davon.
Endlich ist wieder Ruhe eingekehrt im Hinterhof. Nur die einzigen und damit besten Freunde von Hubertus, zwei kleine Mäuse, spielen lachend Fangen. Als sie eine Pause einlegen, fragen sie die Mülltonne höflich: „Wie geht es Dir?“, woraufhin sie zur Antwort bekommen: „Ich bin pappe-satt und trotzdem ziemlich unglücklich. Jetzt ist vom eigentlichen Advent und von einem besinnlichen Weihnachten ja gar nichts mehr übrig.“
„Ich habe eine Idee“, ruft da die größere der beiden kleinen Maus plötzlich: „Wir laden alle ein und feiern unser eigenes, stilles und freundliches Weihnachtsfest.“ Kaum gepiepst, sausen die Mäuse schon los …
… und bringen wenig später alle mit zu Hubertus. Neugierig kommen heran
- der bartlose Weihnachtsmann,
- der nackte Christbaum,
- der knorrige Knecht Ruprecht,
- die stummen Engelchen,
- der Stern ohne Schweif,
- der verärgerte Heilige Nikolaus
- und die traurigen Kinder.
Und die Mäuse und Hubertus erzählen ihnen von ihrer Idee.
Wenige Minuten später sitzen sie im Hinterhof im Kreis um ein warmes Lagerfeuer zusammen. An Stöckchen halten sie Würstchen in die heiße Glut, trinken Bratapfel-Tee und essen Plätzchen (ja, Mäuse können fast alles besorgen). Sie erzählen sich Geschichten, hören die Liedern, die durch die Fenster schallen, und wärmen sich mit einer Umarmung, sollte einem von ihnen etwas kühl geworden sein.
Genau: Mehr benötigt man nicht zu einem schönen Weihnachtsfest. Das findet zumindest Hubertus.
(Die Zeichnung ist von der grandiosen Heidi Böck.)
Sehr schöne Geschichte