Weihnachtsbrief 2020

Als „Ghostwriter“ von Weihnachtsgrüßen und Empfänger von Weihnachtskarten erstaunte mich in diesem Jahr, wie bemüht man die Corona-Pandemie ausklammern wollte. Seit Monaten beherrsche das Thema nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch das Leben von uns allen, da solle man wenigstens zu Weihnachten eine Pause von traurigen Nachrichten machen.

Und dann wurde der Lockdown verhängt. Und in seinem Gefolge wüten einmal mehr unzählige Menschen empört durch die sozialen Medien, taumeln sie verzweifelt von Meinung zu Meinung, von Meldung zu Meldung – und gehen zunehmend ungebremst aufeinander los.

Wie geht man als Einzelner mit einer Pandemie um, die weltweit jeden Tag neue Opfer fordert und ganze Gesellschaften an den Abgrund führt? Ich gebe zu, ich fühle mich weder mit einer festen Meinung wohl – noch finde ich mich in den vielen offenen Fragen zurecht, mit denen ein Virus nicht nur die sonst so sicheren Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsexperten zurücklässt. Mir wird schwindelig angesichts der täglich neuen Nachrichten und Erkenntnisse, die morgen bereits wieder andere sind. Also doch lieber das Thema ausklammern, gerade zu Weihnachten?

Nun, für meine Familie und mich sind die Einschnitte nicht ganz so dramatisch: Nach 21 Uhr gehen wir mangels eines Hundes selten nach draußen, an die geschlossenen Kneipen und Restaurants haben wir uns fast schon gewöhnt. Die Jungs pflegen ihre Sozialkontakte online und sind für ihre Eltern kaum sichtbar, an Heiligabend kommt wie alle Jahre nur Onkel Roland vorbei. Natürlich sind auch unsere Eltern und Großeltern dabei, wenn ich mich lächelnd an sie erinnere.

Es ist traurig, wie viele Großfamilien in diesem Jahr darunter leiden, „ihr“ gewohntes Weihnachten nicht feiern zu können. Und ich umarme in Gedanken all diejenigen, die ungewollt allein das Fest verbringen müssen. Die Einschränkungen und Belastungen muss man sich auch nicht schönreden. Es ist aber erlaubt, weil es hilft.

Meine Schwester wohnt mit ihrer Familie vor den Toren Hamburgs, die Schwester meiner Frau mit ihren Lieben in Kalifornien. Das ist beides zu weit weg für einen kurzen Weihnachtsbesuch, taugt aber sehr gut zu Reiseplanungen für die Zeit … danach.

Überhaupt Pläne: Das vergangene Jahr hat uns gezeigt, dass man immer damit rechnen sollte, sie abrupt verschieben oder gar stornieren zu müssen. Was nicht heißt, darauf zu verzichten, denn die Zukunft kommt, so oder so. Da sie sich aber nur vage in Wahrscheinlichkeiten denken lässt und mir gerade nach etwas Sicherheit ist, schaue ich jetzt auf den Augenblick. Denn der ist gerade da.

Es ist stiller. Und es ist langsamer als sonst. Und wenn man erst einmal in den Sozialen Medien alle Empörten, Verärgerten, Hasserfüllten, Berufsopfer & Dauer-Jammerer, Verschwörungstheoretiker und akuten Spontanaggressoren geblockt hat, trifft man auf unzählige Menschen, die heiter-stoisch die Situation ertragen, die liebe- und respektvoll miteinander umgehen und bereitstehen, wenn Hilfe gefragt ist. Solch herrlichen Vertreterinnen und Vertreter unserer Spezies begegnet man übrigens oft offline, z.B. beim Spaziergang, wenn über die Straße hinweg ein Lächeln durch die Maske strahlt. Und kein Zweifel, man grüßt sich öfter.

Ich werde am 24. Dezember nachmittags mit meiner Familie spazieren gehen und alle mit einem Lächeln grüßen, die uns über den Weg laufen. Meine Frau und ich werden uns bei den Händen halten und die Jungs werden darüber spotten, obwohl es ihnen gefällt. Und wenn wir zurück sind, werden wir mit Roland Raclette essen, uns beschenken, mit unseren Schwestern telefonieren, die virtuelle Christmette anschauen, erzählen und lachen – und ich werde auf euch alle einen Becherovka trinken. Denn es ist Weihnachten, auch in diesem Jahr.

Ich wünsche euch ein gesegnetes Fest!

Die zehn Weihnachtsbriefe seit 2010 >> 

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