Ob auf Betriebsfeiern oder in Operationssälen: Sobald ich mit meinem Fotoapparat erscheine, schlägt mir unverhohlene Abneigung entgegen. Noch vor dem Gruß wird mir vielstimmig ein „Mich fotografieren Sie nicht!“ entgegengeschleudert, manch eine (und ja, es sind meistens die Damen) flüchtet sogar in höchst dramatischer Pose.
Ich bin der, den keiner mag. Denn es ist schick geworden, nicht fotografiert werden zu wollen. Einerseits verstehe ich das ja, andererseits nagt es an meinem Selbstbewusstsein. Und ich hasse mittlerweile diese Jobs, wenn Chefinnen oder Chefs meinen, ich sollte – bei welcher Gelegenheit auch immer – Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von ihnen fotografieren.
Zur Erklärung: Ich bin gelernter Tageszeitungsredakteur, dessen erster Job das Schreiben ist. Weil ich aber die meiste Zeit meines Zeitungslebens in kleinen Lokalredaktionen verbracht hatte, gehörte von Anfang an auch das Fotografieren dazu. Ich bin alles andere als ein guter Fotograf, dennoch verfolgt mich diese Tätigkeit bis heute, wenn ich als Freiberufler für meine Kunden über Personalneuerungen, Teambuilding und Veranstaltungen in Wort UND Bild berichten soll.
Exkurs: Auf was man als bezahlter Fotograf achten sollte. Neben solch einfachen Regeln wie zum Beispiel „Schatten im Gesicht? Keine Schirmmützen, die Augen verdecken. Bei Gruppenfotos alle erinnern, auf Kommando die Augen aufzureißen. Keine Fotos von Leuten, die essen.“ ist es entscheidend zu wissen, wo der VIP (Chefin/Chef) steht. Auf 100 Party-Fotos sollte auf mindestens 20 der Chef zu sehen sein, bei Gruppenfotos ist allein von Bedeutung, dass der VIP vorteilhaft zur Geltung kommt. Es geht nicht darum, ob das Foto für die Meldung taugt, viel wichtiger ist es, dem VIP/Motiv eine kleine fotografische Überraschung zu senden. Jeder hat gerne Bilder von sich, für den Fotografen ist das der einfachste Weg zu dauerhaften Kundenbindungen.
Zurück zum eigentlichen Thema, der Foto-Verweigerung. Und ich schreibe hier nicht von Promis und Papparrazzi, die in einer unheiligen Beziehung voneinander profitieren.
Früher wusste man als Fotograf: Wenn sich jemand weigert, fotografiert zu werden, dann hat er etwas auf dem Kerbholz und wird gesucht – oder will nicht an diesem Ort und/oder mit der ihn begleitenden Person bildlich festgehalten werden. Es gibt diese Geschichte, dass ein Sportfotograf wahllos in die Zuschauermenge eines Fußballspiels „hielt“, das Foto großflächig auf der Titelseite der Tageszeitung am nächsten Morgen erschien, im Zentrum gut sicht- und erkennbar ein Pärchen, das so nicht sein sollte… dumm gelaufen mit dramatischen Folgen für zwei Ehen.
Ich möchte heute kein Fotograf bei einer Tageszeitung mehr sein. Es wäre mir schlichtweg zu aufwändig und nervig, von Kinderfesten Fotos ohne Kinder zu schießen, mir bei Veranstaltungen jeglicher Art Einverständniserklärungen in dreifacher Ausfertigung zu besorgen oder unter Fotos von Betriebsjubiläen mindestens fünf Namen mit „nicht auf dem Bild“ zu versehen. Ist es bezeichnend, dass sich offensichtlich immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür schämen, bei ihrer Firma angestellt zu sein?
Seltsam diese Abneigung in Zeiten der bedingungslosen Öffentlichkeit im bis in das letzte Eck ausgeleuchteten Google-Glashaus. In Zeiten von Instagram & Co, wo jeder sein nacktes Äußeres und langweiliges Inneres ausbreitet.
Es scheint die Attitüde unserer Zeit zu sein, sich affektiert zu zieren, wenn eine Kamera auf sich gerichtet ist … die Verweigerung unterstreicht auf erbärmliche Weise die vermeintliche Wichtigkeit oder negiert die Oberhoheit über das weich- und schöngezeichnete eigene Foto. Das Selfie als Garantie eines künstlich gefertigten Fremdbildnisses, das mit dem „Selbst“ fast gar nichts zu tun hat – außer, dass es einen unbändigen Druck aufbaut, an dem so viele Menschen zugrunde gehen.
Vergangene Woche passierte etwas, das so unglaublich scheint, dass es nur wahr sein kann: Die OP-Schwester, ich nenne sie hier Lydia, die immer am lautesten „Kein Foto von mir, Herr Krebs!“ kreischte, sobald ich „ihren“ Operationssaal betrat, schickte mir eine E-Mail mit folgendem Wortlaut: „Sehr geehrter Herr Krebs, wir planen gerade die Verabschiedung unseres Oberarztes mit einer kleinen Erinnerungsbroschüre. Hätten Sie hier zufällig ein paar Fotos für uns?“
Selbstverständlich hatte ich welche. Auch einige, auf der sie zu sehen ist. Ich habe ihr alle geschickt 😉.