Im Stau.

Ich hatte bis zu einem Alter weit jenseits der 30 das unglaubliche Glück, niemals in einem größeren Stau gestanden zu haben. Zumindest nicht als Fahrer. Entsprechende Erfahrungen als Kind neben meiner Schwester auf den Hintersitzen des giftgrünen Ford Taunus irgendwo in der Po-Ebene ein paar Stunden vor Cattolica werden überlagert von den Erinnerungen an die Vorfreude, zum ersten Mal das Meer zu sehen – und an die tränenden Augen, weil meine Eltern im Auto rauchten.

Jedenfalls blieb ich viele Jahre hinter dem Lenkrad eines Autos völlig Stau-los, bis ich vor ein paar Jahren endlich erfuhr, was es bedeutet, wenn im Radio von „Blockabfertigung“ die Rede ist. Kurz vor dem Tauerntunnel hörten wir die Warnung, dass vor uns … es war zu spät – und wir drei Stunden später gerade einmal 50 Meter weiter. Meine Söhne waren damals noch klein, seitdem haben wir im Auto einen portablen DVD-Player.

Mit dem Tauerntunnel war meine Glückssträhne in Sachen Stau gerissen, und fast scheint es so, dass sich der Herrgott seitdem ins Fäustchen lacht, wenn er mich einmal mehr in den Stau schickt. Nun ist es ja nicht so, dass ich es grundsätzlich eilig hätte, auch einer Pause oder mehreren zwischendurch bin ich alles andere als abgeneigt. Ich kann auch ganz gut einfach mal nur dasitzen und dumm in die Luft schauen (oh ja, das kann ich besonders gut), ABER dem Stau sind einige Begleiterscheinungen eigen, die an den eh schon angespannten Nerven zerren.

Erstens. Der Stau ist ganz selten total, meist zieht er sich wie Gummi im zähfließenden Stop-and-Go-Modus dahin. Mal kurz für ein Nickerchen die Augen schließen, eine WhatsApp schicken (was bei mir immer etwas länger dauert) oder eine kleine Glosse wie diese in das stets mitgeführte Büchlein schreiben: FEHLANZEIGE! Kaum hast Du – STOP – begonnen, geht es – GO – schon wieder weiter.

Zweitens. Der Typ im Auto vor Dir ist derjenige, der IMMER zu viel Abstand zum Vordermann lässt. Was heißt, es wechselt unter Garantie ein Auto auf Deinen Fahrstreifen. Meist sind es im Laufe des Staus mehrere, was zum 1. Stau-Stress-Paradox führt: Für die letztendliche Weiterfahrt ist es eigentlich schnurzpiepegal, was vor Dir passiert, Du bist aber dennoch unglaublich gestresst.

Drittens. Das 2. Stau-Stress-Paradox hat nichts damit zu tun, dass es unter Punkt Drei angeführt wird, sondern mit den permanenten Alternativen, die Dich im Stau zu Entscheidungen zwingen. Die nächste Ausfahrt raus, welche Umleitung oder die Spur wechseln: Das Gefühl, immer das Falsche zu tun, zermürbt selbst den gelassensten Autofahrer.

Viertens. Eigentlich höre ich ganz gerne das Gedudel aus dem Radio. Also frühmorgens zur ersten Tasse Kaffee, wenn mich neben heiterer Musik der Nachrichten-Block von wahlweise Antenne Bayern, Bayern 3 oder „Bayern Istmireigentlichwurscht“ mit dem täglichen Informations-Update versorgt. Wer allerdings im Stau steht, merkt schnell, wie mies Radio sein kann. Eine Wiederholung jagt die andere, Umfragen und Gewinnspiele werden unerträglich in die Länge gezogen. Vom geheuchelten, pappsüßen Radio-Mitgefühl gegenüber den vielen Anrufern ganz zu schweigen – und von der Trefferquote der Staumeldungen mag ich gar nicht reden.

Fünftens. Das 3. Stau-Stress-Paradox ist eher metaphysischer Natur und ist in jeder Lebenssituation zu finden. Ich meine den puren Stress in der unsäglichen Langeweile ….

Ach ja: Allseits GUTE FAHRT!

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