Sobald es etwas (in diesem Jahr war es noch nie mehr als „etwas“) wärmer wird, weiß meine Familie, wo man mich findet, wenn ich nicht in meinem Büro am Schreibtisch sitze: Im Garten. Ich bin der Kerl, der zwei grüne Gießkannen hin und her trägt, jede Blume bestaunt und es demütig hinnimmt, dass Ameisen, Schnecken und Blattläuse den weit größeren Anteil am reifen Obst und Gemüse aus dem Garten erhalten. Sehr gerne gehe ich auch ein bisschen mit den Hummeln bummeln oder lasse meine Gedanken ziellos spazieren:
Menschliche Reflexe, die mich jedes Jahr aufs Neue erstaunen: An Muttertag zu betonen, dass es viel wichtiger ist, seine Mutter das ganze Jahr zu lieben. Am Valentinstag hinauszuposaunen, dass er nur eine Geldmachedrei ist. An Halloween sich darüber aufzuregen, dass dieses amerikanische Zeuch nichts mit unserer Kultur zu tun hat. Am Nikolaus darauf hinzuweisen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Tatsächlich mag ich all diese Tage und feiere sie nach aktueller Lust und Laune auch … oder nicht. Zugegeben: Den Vatertag habe ich bis dato immer ausgelassen.
Seltsam, dass es mir erst jetzt aufgefallen ist: Wenn man auf einer Weltkarte Südamerika kippt, dann sieht es aus wie ein kantiger Kopf mit langer Nase oder ein ernster Vogel mit krummen Schnabel.
Seit einiger Zeit nutze ich Gespräche mit Bekannten und Freunden für persönliche Testreihen. Ich begann damit, nachdem mir aufgefallen war, dass sie mein Leben nicht interessiert. Das ist auch in Ordnung so, denn Menschen wollen vor allem über sich selbst erzählen, da bin ich keine Ausnahme. Jedenfalls nehme ich mir jetzt immer vor, einen Abend lang nur zuzuhören und ab und zu eine Frage zu stellen. Das ist besonders spannend, wenn es sich nicht um eine Gruppe handelt, die zusammenkommt (da kann man sich immer gut verstecken), sondern ich allein mit dem Bekannten bzw. dem Freund bin.
- Mein erstes Zwischenergebnis: Von zehn Abenden kamen neun ohne eine einzige Frage an mich und ohne jeglichen persönlichen Kommentar von mir aus. In einem Gespräch gab es eine kurze Nachfrage, die ich allerdings sofort mit einer Gegenfrage konterte, womit der Gegenüber wiederum sofort zufrieden war und weiter von sich erzählte.
- Mein persönliches Fazit: Die Abende sind viel entspannter geworden, weil sich einerseits der Forscher am Experiment erfreuen kann und andererseits der Egozentriker in mir nicht mehr zwanghaft nach Gesprächspausen giert, um seine Geschichten loszuwerden. Ich denke, damit ist allen geholfen.
Nur Musik schafft es, mich träumen und weinen zu lassen, mich als tollkühner Held über das Meer segeln zu lassen.
Kürzlich erzählte man mir von einem Unfall, bei dem zehn Menschen verletzt worden sind, davon einige sogar schwer. Man nahm mir übel, dass sich mein Entsetzen in Grenzen hielt und ich mich der Geschichte nicht mehr als mindestens drei Minuten Bestürzung und Mitgefühl widmen wollte. Diese Herzlosigkeit ist bei mir blanker Selbstschutz – ich halte es schlichtweg nicht aus daran zu denken, dass in dieser Minuten unzählige Kinder in Armut verwahrlost auf der Straße betteln, verhungern, im Krieg verstümmelt und ermordet werden. Geschlagen, entführt, vergewaltigt und geschändet werden. Oder einfach nur traurig sind. Ich halte es nicht aus, für mich ist Mitgefühl nicht teilbar.
Die größte Gnade, die Gott uns gewährt, ist die Fähigkeit uns selbst zu belügen.
Eine schöne Kindheits-Erinnerung: Sich aufgehoben und glücklich fühlen an den Abenden, als Mama am Wohnzimmertisch anfing, Orangen und Äpfel zu schälen – und Karin und ich in Schlafanzügen sie aßen und uns sicher waren, dass wir nie was Besseres gegessen haben.
Wir alle streben danach, das Leben zu spüren.