Frauentypen: Die „Aufgesetzte“

Wenn ich meine Ruhe haben will, kann ich – egal, wo ich mich gerade aufhalte – sehr gut abschalten. Außer ich sitze neben Frau Doll. Es gibt einige Frau Dolls, die meisten von ihnen sind zwischen 35 und 55 Jahre alt und nicht selten blond. Oder rothaarig. Oder brünett. Gerne gefärbt.

Der Haarschnitt ist modern vom angesagten Friseur Coiffeur der Stadt, was allerdings nichts daran ändert, dass er, also der Haarschnitt, nicht zu ihr passt. Das wiederum ist für sie persönlich weniger tragisch, denn es findet sich immer eine Bekannte, nicht selten sogar zwei, die ihr blumig die perfekte Frisur bestätigen werden.

Frau Doll fühlt sich ausgesprochen jung und möchte noch jünger sein. Obwohl sie etwas verklemmt und im tiefsten Wesen ihres Kerns konservativ ist, gehört dem Gegenteil ihr tägliches Ansinnen. Was zur Folge hat: Dass ihr Leben, 24 Stunden an sieben Tagen, vor allem Inszenierung ist.

Natürlich hat sie Kinder und ist natürlich mit deren Vater verheiratet. Den kennt sie aus Kindertagen, die Typologie des Ehemannes beschränkt sich auf zwei, seltsamerweise diametral entgegengesetzte Spezies: Den Pantoffelhelden oder den Chef eines Unternehmens. Die Demut des einen und die Ignoranz des anderen sind das Umfeld, indem sich die umtriebige Gattin entfalten kann.

Frau Doll findet man gerne im Elternbeirat und beim Aerobic. Dabei ist sie weder sonderlich fürsorglich noch sportlich – beides wird aber mit einem ausgesprochenen Kommunikationsbedürfnis wieder wettgemacht. Entscheidend ist, dass sie weithin bemerkt wird, deshalb steht sie zum Beispiel in Hotels gerne am Frühstücksbuffet und den anderen Gästen im Weg, wenn sie zwei Nuancen zu laut begeistert, doziert, lobt oder schimpft.

Die Kleidung von Frau Doll ist immer zu eng, zu knapp, zu bunt, zu sexy und zu jugendlich. Alternativ scheint es so, dass eigens für sie für heiße Sommertage oder Club-Urlaube der Sarong entworfen wurde, kunstvoll gewickelt um ausladende Hüften, eine vage Erinnerung an die Hippie-Bewegung und Flower-Power-Zeiten der End-Sechziger, für Frau Doll leider nicht miterleben durfte. Für den Fall der Fälle hat sie aber vorgesorgt und stets eine stattliche Auswahl von Räucherstäbchen im Vorrat.

Gerne Lady spielt sie gerne mit ihrer Weiblichkeit und setzt diese lasziv in Szene. Und da sich immer entweder jugendliche Testosteronbullen oder lüsterne Ältere finden, ist ihr der Beifall gewiss. In der Urlaubs-Disco beherrscht sie hüftschwingend die Tanzfläche zusammen mit weiteren Frau Dolls, die sich hier zusammengefunden haben, währenddessen an den Tischen die Ehemänner und Väter stoisch versuchen, den plärrenden Nachwuchs zumindest im Trubel nicht zu verlieren.

Ob Latino-Tanz und Ayurveda-Wellness-Anwendungen im Urlaub oder die wöchentliche Damen-Sauna und Nordic-Walking mit der Nachbarin – Frau Doll mag auf so manches verzichten (böse Zungen behaupten sogar, darunter fielen auch Mann und Kinder), aber niemals auf ihre „Ich-Zeit“, die ihr zusteht und die als „Quality-Time“ das Leben erst erträglich macht.

Nun, kein Mensch im näheren Umfeld von Frau Doll wird ihr diese „Ich-Zeit“ absprechen wollen, ist sie doch vor allem auch „Quality Time“ … für die anderen.

Bild von Екатерина Пожилых auf Pixabay

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