Duck dich, Nelson. Eine kleine Geschichte mit Rebhühnern.

Manchmal weiß man einfach nicht, für was etwas gut sein kann. Man sollte sich deshalb nicht davon abhalten lassen, es trotzdem zu tun.

Hinter dem Bahndamm, direkt am Gleis, lebt eine fröhliche Rebhuhn-Familie, die aus einer fleißigen Mama, einem dicken Papa und drei kleinen und sehr frechen Rebhuhn-Küken besteht. Das sind zwei Mädchen und ein Junge und sie heißen Nala, Nuri und Nelson. Was auch bedeutet: Nelson hatte und hat es gar nicht so leicht mit zwei Schwestern. Sie ärgern ihn zwar nicht allzu sehr, aber sie wollen immer bunte Bänder in seine kurzen Federn binden.

Nelson hasst es, mit bunten Bändern herzumzulaufen. Er liebt allerdings Züge – und da hat er Glück: Denn im Abstand von wenigen Minuten rasen die Züge über die Gleise, so dass die ganze Rebhuhn-Familie ständig gut durchgerüttelt und -geschüttelt wird. Aber nicht nur das. Weil sie ja direkt am Bahndamm wohnen und viel Zeit zwischen den Schienen verbringen, sind Mama, Papa, Nala, Nuri und Nelson den ganzen Tag und die halbe Nacht beschäftigt mit

Hinwerfen. Aufstehen. Umschauen. Hinwerfen. Aufstehen. Weghüpfen. Umschauen. Wegducken.

Das klingt jetzt ziemlich schlimm. Ist es aber nicht, denn die Rebhühner sind die Züge gewohnt und es ist für sie eine Selbstverständlichkeit, sich hinzuwerfen, aufzustehen … Ihr wisst schon.

Die drei Rebhuhn-Geschwister sind alles andere als dumm. Im Gegenteil: Sie sind ziemlich clever, sonst wären sie ja auch schon um einen Kopf kürzer. Unglücklicherweise sehen das ihre Lehrer anders, weil Nala, Nuri und Nelson zwischen den Schienen wenig Zeit zum Mathematik büffeln oder zum Deutschaufsatz schreiben haben. Entsprechend schlecht sind die Noten. Nelson ist sogar schon zweimal sitzen geblieben – wegen schlechten Betragens. Die strenge Religionslehrerin hatte einfach kein Verständnis dafür, dass er sich nicht stillhalten konnte und beim Ausfragen immer wegduckte.

Heute aber ist ein besonderer Tag. Einmal im Jahr finden nämlich im ganzen Land die großen Völkerball-Meisterschaften statt – und die sind bei Rebhühnern ungefähr genauso wichtig wie bei den Menschen die Fußballweltmeisterschaften. Wenn nicht sogar noch viiiiiel wichtiger.

Ob ganz klein oder ziemlich groß, jedes Rebhuhn spielt in einem Völkerball-Verein und will Völkerball-Meister werden.

Nelson und seine beiden Schwestern spielen auch in einer Mannschaft, die RAILROAD PARTRIDGES heißen. Sie sind nur Reservespieler, weil die anderen Rebhühner glauben, dass sie viel besser wären. Nun, so unrecht scheinen sie nicht zu haben, denn die RAILROAD PARTRIDGES gewinnen alle Qualifikationsspiele und überstehen – mit etwas Glück – auch die Vorrunde bei den Völkerball-Meisterschaften. Achtelfinale, Viertelfinale, Halbfinale, es folgt ein Sieg auf den anderen.

Finale!!!!! Die RAILROAD PARTRIDGES gegen die DANGEROUS ROLL CHICKEN, die in den vergangenen zehn Jahren den Titel gewonnen haben und heute die absoluten Favoriten sind.

Nelson, Nuri und Nala haben es sich bereits auf der Ersatzbank bequem gemacht. Sie hatten Tröten und Fahnen dabei um ihre Mannschaft anzufeuern. Aber dann passiert es: Beim Warmspielen verletzen sich gleich fünf Spieler der RAILROAD PARTRIDGES, als einer von ihnen ausrutscht und seine Mitspieler wie die Kegel umwirft.

Verstauchte Flügel und gebrochene Rebhuhn-Beine, das tut richtig weh.

Der Trainer der RAILROAD PARTRIDGES schaut sich verzweifelt um. Er hat zu wenige Spieler und unter den Verletzten befinden sich die Top-Stars des Teams. Sein Blick fällt auf die drei Geschwister. Mit einem „Ich habe keine andere Wahl“ nickt er ihnen zu und macht ein Zeichen, dass sie sich bereit machen sollen. Nuri, Nala und Nelson sind erst ganz starr vor Schreck. Aber dann stürmen sie laut johlend auf das Spielfeld. Der Trainer verbirgt sein Gesicht hinter seinen Flügeln und wartet auf die Blamage, die seiner Meinung nach unweigerlich kommen muss.

ABER: Der Trainer und fast alle anderen in der Sporthalle haben sich getäuscht. Denn während ihnen die Bälle nur so um die Ohren fliegen, tun die drei jungen Rebhühner genau das, was sie sonst den ganzen Tag tun:

Hinwerfen. Aufstehen. Umschauen. Hinwerfen. Aufstehen. Weghüpfen. Umschauen. Wegducken.

Kein Ball trifft sie während des ganzen Spiels. Im Gegenteil werfen sie einen nach dem anderen der gegnerischen Spieler ab, die aufgrund ihrer eigenen vergeblichen Wurfversuche immer müder werden. Die Halle tobt und jubelt Nala, Nuri und Nelson begeistert zu. Der tosende Applaus wird sogar noch stärker, als mit dem Schlusspfiff feststeht, dass in diesem Jahr die Völkerball-Meister RAILROAD PARTRIDGES heißen.

Stolz nimmt anschließend der Trainer den Pokal entgegen – und reicht ihn gleich an seine beiden Spielerinnen und seinen Spieler vom Bahndamm weiter. Klar, dass die drei jetzt die Helden des ganzen Landes sind. Und es ist auch nicht weiter schlimm und nimmt ihnen auch keiner übel, dass sie sich bei der Siegerehrung immer wieder hinwerfen und wegducken.

Denn eines haben heute alle kapiert: Manchmal weiß man einfach nicht, für was etwas gut sein kann. Man sollte sich deshalb nicht davon abhalten lassen, es trotzdem zu tun.

Das Bild ist gezeichnet von der wunderbaren Franziska Oelke.

 

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