Vincent, der Maler

Wie so häufig im Leben weiß man gar nicht, welche Talente in einem schlummern.

Eigentlich hatte Vincent nur Blödsinn im Kopf. Und zwar von frühmorgens bis spätabends, was aber für eine Feldmaus wie Vincent gar nicht weiter schlimm war. Denn zwischen Nüsse sammeln und Nüsse essen war genügend Zeit, sich auszuruhen – oder Blödsinn zu machen. Vincent erschreckte gerne die drei Rebhühner in der Nachbarschaft, versteckte dem Igel seinen faulen Apfel oder machte dem Hasen einen Knoten in seine Ohren.

Vincent hatte also alle Hände voll zu tun – bis er eines Tages am Wegesrand, direkt neben einer kleinen Pfütze, etwas ganz Seltsames fand. Es war ein kleiner Kasten mit Wasserfarben, in dem zwischen Hellgelb und Dunkelblau sogar noch ein paar Pinsel lagen. Der schlaue Feldmäuserich brauchte nicht lange um zu verstehen, für was ein Malkasten gut ist. Und schon malte er sein erstes Bild auf den Erdboden. Es war eine Sonnenblume, die allerdings beim ersten Versuch noch aussah wie ein wackeliger gelber Kreis mit krummen Strichen.

Während sich die vorbeikrabbelnden Käfer über Vincents erste Malversuche kugelig lachten, war der Feldmäuserich schon ganz zufrieden mit seinem ersten Werk. Und weil es ihm so viel Spaß machte, malte er gleich noch ein zweites Sonnenblumenbild und ein drittes und ein viertes – bis es tatsächlich nach einer Sonnenblume aussah.

„Ich bin ein Künstler!“, jubelte Vincent. Das sollten natürlich auch seine Freunde, die Rebhühner, der Igel und der Hase sehen. Und er lief los um sie zu holen. Dabei begann es zu regnen, was Vincent und seine Freunde jedoch wenig störte. Sie waren schließlich gewohnt, bei jedem Wetter unter freiem Himmel zu sein.

Doch welche Enttäuschung! Als sie allesamt zu den Bildern rannten, waren diese nicht mehr da. Vom Regen einfach weg geschwemmt. Mit Wasser auf ewig ausradiert. „Macht doch nix“, mümmelte der Hase, „malst du eben ein neues Bild.“ Auch die Rebhühner waren dafür, dass Vincent weiter malen sollte. Dann war er wenigstens beschäftigt und konnte sie nicht ärgern.

Der Mäuserich ließ sich auch nicht lange bitten, denn er hatte schon eine neue Idee im Kopf, was er denn nun malen könnte. Eine Wiese mit Klatschmohn sollte es sein, mit sehr vielem Klatschmohn. Dazu suchte er sich einen sehr breiten Feldweg aus, auf den er mit Pinsel und Farbe eine riesige grüne Wiese mit rotem Klatschmohn zauberte. Als er nach Stunden endlich mit dem Bild fertig war, suchte er abermals seine Freunde, damit sie sein Kunstwerk bestaunen konnten.

Aber es schien so, als hätte der Himmel etwas gegen Vincent, denn schon wieder zogen dicke Regenwolken auf – und blieben wenig später von der gemalten Klatschmohnwiese nur noch ein paar dünne rotgrünbraune Rinnsale übrig. Es war zum Stadtmäuse melken: Kein Tier, geschweige denn ein Mensch, sollte wohl je ein Bild von Vincent zu Gesicht bekommen. „Dann eben nicht“, dachte sich der kleine Feldmäuserich, schnallte sich seine Pinsel und den Farbkasten auf den Rücken und machte sich auf um dem Hasen mal wieder seine langen Ohren zu verknoten.

Als er aber um die nächste Waldwegkurve sauste, stieß er krachend mit einer großen Schildkröte zusammen. Während Vincent bedröppelt am Boden lag und noch darüber nachdachte, was gerade passiert ist, grinste ihn die Schildkröte an: „Hallo, ich bin Theo. Und wer bist du? Warum hast du es denn so eilig? Und was sollen die Pinsel und der kleine Kasten auf deinem Rücken?“

„Ich heiße Vincent und bin gerade unterwegs zu meinen Freunden. Aber den Pinsel und den Farbkasten kannst du haben, die brauche ich nicht mehr“, stotterte Vincent. Und er fügte zornig hinzu: „Ich male nämlich nicht mehr, weil meine Bilder immer vom Regen weggeschwemmt werden.“

„Macht dir denn das Malen Spaß?“, wollte Theo wissen.

„Ja, sehr! Aber wenn ich meine Bilder keinem zeigen kann, lasse ich es besser gleich bleiben.“ Vincent war wirklich ziemlich traurig.

Aber Theo hatte eine Idee: „Wie wäre es, wenn du deine Bilder auf meinem Rückenpanzer malst. Da können wir zu den Tieren gehen um ihnen die Bilder zeigen und sie müssen nicht zu dir kommen. Und wenn es regnet, dann stellen wir uns einfach unter einen Baum.“

Der kleine Feldmäuserich überlegte nicht lange, sondern riss die Malutensilien von seinem Rücken und malte ganz fix auf eine Panzerplatte eine Mohnblume und auf die andere eine Sonnenblume. Die kleinen Bilder leuchteten und die Augen von Vincent blitzten vor Freude. Theo hielt sich erst ganz still, schritt dann aber ganz langsam zum Ufer des nahen Bachs. Er wollte nämlich sehen, was Vincent gemalt hatte. Im Wasser betrachtete er sein Spiegelbild und die beiden gemalten Blumen. „Du bist wirklich ein Künstler, Vincent“, staunte die große und sehr alte Schildkröte.

Theo war nicht allein mit seiner Meinung, wie sich schon kurz darauf herausstellte. Ein Fuchs, der des Weges daher kam und sich schon über eine Feldmaus-Zwischenmahlzeit freute, vergaß seinen Hunger und bewunderte lächelnd die Bilder. Es dauerte nicht lange und von der Ameise bis zum Wildschwein wussten alle Tiere im Wald, welch tolle Bilder Vincent malen konnte.

Zusammen zogen die Schildkröte und Feldmaus durch die Lande und zeigten allen, die sie sehen wollten, die leuchtenden Bilder auf dem Rückenpanzer. Zum Glück hatte der viele Felder, so dass ein Anschauen nie langweilig wurde und es immer wieder Überraschendes zu entdecken gab.

Und wenn der Panzer von Theo mit Bildern voll und kein Fitzelchen Platz mehr frei waren? Nun, dann tanzten die beiden Freunde im Regen. Schließlich ist nichts für die Ewigkeit – und hat Vincent immer genügend neue Bilder in seinem Herzen und seiner Fantasie.

So bunt wie die Geschichte ist auch die Zeichnerin des Bildes: Franziska Oelke!

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