Um 11 Uhr ist Abflug, um 5 Uhr bin ich vor Ort. Wenn ich mit dem Flugzeug reise, mache ich mich in der Regel mehrere Stunden vorher zum Flughafen auf. Egal ob beruflich oder privat.
Während erstes meine ureigene Angelegenheit ist, führt zweites unweigerlich zum Ehestreit. Meine Frau nämlich sieht gar nicht ein, warum man viele Stunden unnütz auf einem Flughafen verbringen müsse – zumal das Shoppingvergnügen in Zeiten grenzenloser Onlineangebote definitiv seinen Reiz verloren habe. Und eine Flughafenbuchhandlung gebe ihrer Meinung nach kaum eine halbe Stunde an Zerstreuung her.
Meine Frau liest nicht so gerne – und ich bin ein vorsichtiger Mensch. Jemand, der tief beeindruckt (und ziemlich genervt) ist von den Coolen, die ihr Leben samt Reisen „just in time“ organisieren. Die niemals Zeit mit lästiger Wartezeit vergeuden würden und – sofern sie mit Begleitung reisen und darunter sich Menschen wie ich befinden – nichts lieber tun, als ihren lässigen Umgang mit der Zeit souverän zur Schau zu stellen … und die anderen in den kombinierten Herzinfarkt-Wahnsinn treiben.
Ich mag Zeit vergeuden. Und in schnellen Zeiten noch mehr, weil ich dann mehr Zeit zum Schauen habe. Gerade Flughäfen sind hierfür das perfekte Terrain, da sie in ihrer eigenen Welt aus Glastüren, Rolltreppen, Laufbändern und Gepäckwagen fremde Kontinente und intime Nähe miteinander verweben. Ob die schamlos überteuerte Gastronomie oder der sterile Wartebereich – nirgendwo sonst präsentiert sich die Menschheit so bunt, so eng und so bizarr wie hier. Das natürliche Abstandsempfinden ist aufgehoben, der unnahbare Geschäftsmann kapituliert früher oder später vor der Dreistigkeit der Großfamilie, die keine Grenzen kennt.
Und irgendwo, aneinander gepfercht in hermetisch abgeschirmten Bereichen: die Raucher.
Ankunft, Gepäckaufgabe, Passkontrolle, Boarding: Rhythmisch wechseln sich maximaler Stress und unsägliche Langeweile ab, fordern vom Passagier höchste Flexibilität in seinen Empfindungen. Und führen unweigerlich zu völlig irrationalen Verhaltensweisen. Man sollte einmal den versierten Biologen fragen, warum sich Menschen heftig drängeln, wenn die Tür zum Flugzeug geöffnet wird. Es hat doch jeder seinen reservierten Sitzplatz. Und kostenlose Zeitungen gibt es auch nicht mehr.
Ich warte aus Überzeugung auf einem Flughafen. Auch gerne sehr lange. Denn neben der Furcht, zu spät zu kommen, gibt es noch zwei weitere Reise-Ur-Ängste, die dies geradezu zwanghaft fordern: Was zum Beispiel passiert, wenn die Waage, auf den ich meinen Koffer gestellt habe, mehr als die erlaubten 20 Kilogramm anzeigt? Wie lange benötige ich, überflüssige Teile auszusortieren? Und wohin damit? Oder wie viel kostet eigentlich Übergepäck?
Und zuallerletzt spricht eine Tatsache für den Flughafen. Hier bin ich noch am Boden … ein wichtiges Argument für einen, der Flugangst hat.