Zur Bundestagswahl: Ein Büchlein „So funktioniert Politik in Deutschland“

Ja, ich habe mal Politikwissenschaft studiert. Und ja, ich habe als Journalist viel über Politik geschrieben. Und ich bin kommunalpolitisch nicht ganz unbeleckt – und bin, was viel wichtiger ist, Vater zweier Söhne. Als solcher hatte ich den Anspruch, den beiden zu erklären, wie das Bundesdeutsche politische System funktioniert und warum es so wichtig ist, sich für die Demokratie einzusetzen.

Ich wollte das ohne erhobenen Zeigefinger tun, humorvoll und manchmal auch etwas überzogen & weil der von mir verehrte Rio Reiser das Lied „König von Deutschland“ geschrieben hat, sollte die Geschichte auch eine Hommage an ihn sein. Entstanden ist daraus in Zusammenarbeit mit der wunderbaren Julia Patschorke das Büchlein „So funktioniert Politik in Deutschland“. Es beginnt mit einem kleinen Uhu, der einen Plan hat:

„Ich hab’s, ich hab’s!! Ich weiß endlich, was ich werden will, wenn ich groß bin. Ich werde König von Deutschland!!“ Der kleine Uhu hüpft ganz aufgeregt auf den Bauch des Bundesadlers. Sein Freund wollte eigentlich ein kleines Mittagsschläfchen machen, aber damit ist es nun vorbei. „Wie bitte? Du willst König von Deutschland werden? Aber es gibt keinen König von Deutschland – und so lange ich Bundesadler heiße, wird es auch keinen mehr geben.“

Der Uhu und der Bundesadler
Der Uhu und der Bundesadler

„Warum?“, fragt der kleine Uhu trotzig. „Ich bin ein sehr guter König.“ Etwas müde antwortet der Adler: „Nun, weil Deutschland kein Königreich ist …. weißt du denn überhaupt, wie Deutschland eigentlich funktioniert?“

„Ja natürlich! Also, ähm, jaaaa, genau, oder doch nicht“, stammelt der kleine Uhu. „Muss ich das denn als König wissen?“ „Keine Sorge, ich erkläre es dir“, verspricht der Adler.

„Also, wo fangen wir an?“, grübelt der Bundesadler.

„Am Anfang?“

„Keine schlechte Idee, wobei das gar nicht so einfach zu beantworten ist. Beginnen wir am besten am 23. Mai 1949. An diesem Tag wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet.

Davor hatte Deutschland 1949 den Zweiten Weltkrieg begonnen, der sechs schreckliche Jahre dauerte. Versprich mir bitte, dass du dabei hilfst, dass es hier NIE WIEDER Krieg gibt.“ „VERSPROCHEN!“ beruhigt der kleine Uhu seinen aufgeregten Freund.

Der Adler erzählt weiter: „Jedenfalls wurde der Krieg verloren. Während auf dem Gebiet der drei Sieger Amerika, England und Frankreich die Bundesrepublik Deutschland entstand, gab es in der Besatzungszone der Sowjetunion die DDR. Zwischen den beiden neuen Staaten wurde als unüberwindbare Grenze der Eiserne Vorhang errichtet – und mitten durch die Hauptstadt Berlin lief eine hohe Mauer, über die keiner drüber kam.“

„Das ist aber schlimm.“

„Ja, das war es. Bis 1989 in der DDR die Menschen genug hatten vom eingesperrt sein, auf die Straße gingen und so laut „Wir sind das Volk“ riefen – bis die Mauer am 9. November 1989 einfach zusammenstürzte und der Eiserne Vorhang auseinanderfiel.“

„Stimmt das denn wirklich“, fragte der kleine Uhu zweifelnd. „Sicher. Also, irgendwie schon. Jedenfalls kannst du deine Mama und deinen Papa fragen, wie sich damals alle Menschen auf beiden Seiten der Grenze gefreut haben. Ein Jahr später, am 3. Oktober 1990 war dann Deutschland wieder vereint.“

„Gut gemacht. Das hätte ich als König auch organisiert. Und der 3. Oktober wäre bei mir ein Feiertag.“ Der Bundesadler schüttelt nur schmunzelnd den Kopf: „Machen wir weiter.“

Ein Bundesstaat

„Deutschland ist ein Bundesstaat, was man am offiziellen Namen „Bundesrepublik Deutschland“ schon ganz gut erkennen kann. Wie jeder Staat, von denen es auf der Erde knapp 200 gibt, muss er ein Staatsgebiet haben. Deutschland besitzt insgesamt 16 Bundesländer“, erklärt der Bundesadler.

Da unterbricht ihn der kleine Uhu: „Ein Land hat wieder Länder? Das kapiere ich nicht.“

„Das hängt damit zusammen, dass Deutschland ja sehr groß ist und dass es ganz unterschiedliche Aufgaben gibt. Lass es mich an einem Beispiel aus deiner Schule erklären: Du kümmerst dich um deine Hausaufgaben. Deine Lehrerin kümmert sich um den Unterricht. Die Rektorin kümmert sich um die Schule. Das Kultusministerium kümmert sich um den Unterricht in dem Bundesland.“

Von Klein bis ganz Groß – und weil das ganz gut funktioniert und man sich dabei sicher sein, dass es überall jemand gibt, der sich um eine Aufgabe kümmert, ist Deutschland auch eingeteilt: Das Kleinste ist eine Stadt, dann der Landkreis, der Regierungsbezirk, das Bundesland – und schließlich die Bundesrepublik. Und die jeweiligen Chefs heißen Bürgermeister, Landrat, Bezirkspräsident, Ministerpräsident und Bundeskanzler.“

Die Bundesländer von Deutschland: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen.“

„Puuuh, als König muss man in Deutschland aber über viele Länder regieren.“

Ein sozialer Rechtsstaat

„Kommen wir jetzt zu den Prinzipien unseres Staates. Das bedeutet genau: Deutschland ist ein freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat“.

„Hääää? Ich verstehe gar nix mehr“, beschwert sich der kleine Uhu. „Ich weiß, das klingt kompliziert, lass es mich in vier Sätzen einfacher ausdrücken:

Erstens: Unser Staat kümmert sich um alle und vor allem auch um die die Schwächeren, er ist also sozial.

Zweitens: Es gibt Gesetze, damit nicht jeder tun kann, was er will, er ist also ein Rechtsstaat.

Drittens: Freiheitlich deshalb, weil wir machen dürfen, was wir wollen – außer, wir verstoßen gegen ein Gesetz.

Viertens: Wir sind schließlich eine Demokratie, weil alle Menschen und nicht nur ein König das Sagen haben.“

Wahlen

„ALLEEEEEEEEEE?“ ist der kleine Uhu verdattert. „Natürlich können nicht alle 80 Millionen Menschen in Deutschland bei jeder Kleinigkeit direkt mitbestimmen. Das gäbe ein riesiges Kuddelmuddel. Um das zu vermeiden, benützt die Demokratie jetzt eine richtig raffinierte Sache: Die Wahlen.“

„Das kenne ich, das kenne ich“, hüpft der Uhu, „wir wählen auch immer unseren Klassensprecher.“

„Genau. In der Politik ist das nichts anderes. Wir wählen die Leute, die für uns entscheiden sollen. Solchen, denen wir zutrauen, dass sie es können.“

„Wahlen klingen gar nicht so schlecht“, denkt sich der kleine Uhu: „Und wenn mich dann alle wählen, kann ich als König machen, was ich will?“

Der Bundesadler ist etwas genervt: „NEEIIIIN. In Deutschland gibt es keinen König, wir wählen keinen König – und machen, was man will, ist sowieso nicht möglich.“

„Aber, aber … wenn ich doch gewählt bin …“

„…dann nur für eine bestimmte Zeit. Je nach Amt für vier, fünf oder sechs Jahre. Du musst dich also darum kümmern, wieder gewählt zu werden. Und das geht nur, wenn die Leute glauben, dass du deine Arbeit gut machst. Außerdem sind in einer Demokratie die Rollen verteilt. Ich erkläre es dir einfach an einem Beispiel, am besten an einem Fußballspiel:

Die Spieler, das sind die Bürger. Der Cheftrainer ist der Bundeskanzler, die anderen Trainer z. B. für Fitness sind die Minister. Der Schiedsrichter ist der Richter. Und der Deutsche Fußballbund ist der Bundestag und der Bundesrat, zuständig für die Regeln, die in der Politik eben Gesetze heißen.

Die einen machen die Regeln, die anderen regieren und die Dritten entscheiden über die Strafen, wenn Gesetze nicht eingehalten werden. Das nennt man dann Gewaltenteilung.“

Der kleine Uhu überlegt: „Und das funktioniert?“

„Natürlich funktioniert das“, antwortet der Bundesadler streng. „Manchmal besser, manchmal schlechter, aber nie so schlecht, dass wir auf die Demokratie verzichten würden.“

Der Bundestag

„Duhuuu, was ist der Bundestag eigentlich genau?“, will der kleine Uhu wissen.

„Nun, im Bundestag werden die Gesetze gemacht, sprich Regeln für Deutschland aufgestellt. Hier sitzen Politiker, die von den Menschen gewählt worden sind. Die meisten gehören zu einer Partei, zum Beispiel zur SPD, zur CDU oder CSU, zu den Grünen/Bündnis90, den LINKEN, der FDP und noch einigen mehr.

Auch das kann man mit dem Fußball vergleichen: Du brauchst eine Mannschaft, um mitzuspielen, jede Mannschaft spielt anders – aber alle spielen Fußball, was in unserem Fall eben Demokratie heißt.“

„Und alle haben andere Trikots?“

„Genau: Die SPD tragen rote Trikots, die von CDU und CSU sind schwarz, gelb die von der FDP und grün die der Grünen, was logisch ist.“

„Und die Partei, die bei den Wahlen gewonnen hat, hat am meisten Spieler?“ Der Bundesadler ist verdutzt: „Du kapierst es ja langsam, denn genau so ist es. Nur heißt es in der Politik ´Sitze`.“ „Und die mit den meisten Sitzen machen dann die Gesetze?“

„Nicht unbedingt, denn man braucht mehr als die Hälfte der Sitze um entscheiden zu können. Um die zu bekommen, verbündet man sich mit anderen Parteien, wobei sich die Partner immer wieder ändern können.“ „Das ist ja wie bei den Eltern meines Freundes, der Nachtigall“, schimpft der kleine Uhu. „Das ist das Leben“, meint der Bundesadler.

„Damit ein neues Gesetz aber auch angenommen wird, ist noch der Bundesrat nötig“, fährt der Bundesadler fort. Der kleine Uhu unterbricht ihn: „Sei mir nicht böse, aber das lerne ich später. Jetzt will ich wissen, wie ich Chef von Deutschland werden kann.“

Die Bundeskanzlerin

„Nun, der Chef heißt Bundeskanzler. Er wird vom Bundestag gewählt und kann natürlich auch eine Frau sein. Er bestimmt auf der Grundlage der Gesetze, was gemacht wird. Das heißt, er ist auch in besonderer Weise verantwortlich dafür, ob ein Staat funktioniert.“

„Und hat er Menschen, die ihm helfen?“

„Klar, da sind zuallererst seine Minister, die sich um verschiedene Bereiche kümmern: Um die Wirtschaft, um das Geld, die Familien, die Beziehungen zu anderen Ländern, die Umwelt, die Energie, die Sicherheit und einiges mehr.“

„Und wenn der Bundeskanzler mit einem Minister nicht mehr zufrieden ist, dann entlässt er ihn? So wie ein Fußballtrainer?“

„Genauso.“

„Du, Bundesadler, Bundeskanzler ist glaube ich doch nix für mich. Hast du nicht einen anderen Job, der ungefähr wie König ist?“

Der Bundespräsident

„Tatsächlich, kleiner Uhu, gibt es in Deutschland noch ein zweites Amt. Und das kommt dem eines Königs ziemlich nahe. Es ist der Bundespräsident, das offizielle Staatsoberhaupt, also der Chef von Deutschland.“

Bundespräsident
Bundespräsident

„Das klingt, als ob er sehr mächtig wäre.“

„Auch wenn zum Beispiel ein Gesetz erst durch seine Unterschrift gültig wird, ist Macht bei ihm nicht das Entscheidende. Er sorgt vor allem dafür, dass Deutschland bei den anderen Staaten ein gutes Bild abgibt und als zuverlässiger Partner gilt. Er reist deshalb viel und empfängt viele Gäste: Andere Präsidenten, Königinnen und Könige, Kirchenchefs und und und ….

„Und ich dachte immer, wir müssen uns in Deutschland nur um Deutschland kümmern“, grübelt der kleine Uhu.

„Wir kümmern uns nur um uns, hmmmmm.“ Der Bundesadler denkt lange nach.

„Was ist?“

„Das ist nicht so einfach zu beantworten. Und immer wieder meinen auch in Deutschland Menschen, dass wir uns nur um unsere eigenen Sachen kümmern sollen. Ich finde aber, dass das ziemlich gefährlich ist. Am besten, wir sehen uns mal die Erde von oben an.“

„Uiii, die Erde ist aber schön“, staunt der kleine Uhu, als sie in das Weltall geflogen sind. „Das ist sie. Und wenn du genau hinsiehst, dann merkst du auch, wie alles irgendwie zusammenhängt. Wir gehören alle irgendwie zusammen, was keiner vergessen sollte.“

„Ach, das verstehe ich. Wenn ich mit den anderen Vögeln streite und nicht mit ihnen teile, gibt es immer Ärger. Wenn wir uns vertragen, macht es viel mehr Spaß.“

„Ja, manchmal ist es so einfach. Und manchmal ist es viel schwieriger. Aber genau das ist Politik. Sie kümmert sich um die kleineren und um die ganz großen Sachen.““

„Und um das alles muss ich mich dann als König kümmern?“ Dem kleinen Uhu ist etwas bange ums Herz. „Kannst du mir sagen, mit was ich anfangen soll? Was ist denn das wichtigste Thema der Politik?“

„Da hat jeder eine andere Meinung. Ich aber glaube, am wichtigsten ist, dass wir uns darum kümmern, dass alle Kinder gute Chancen erhalten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – und dafür zuallererst in der Schule eine vernünftige Ausbildung bekommen. Da lernst du dann auch genau, wie Politik nicht nur in Deutschland funktioniert.“

„Ich muss in die Schuleeeee?“

„Du DARFST, mein kleiner Freund.“

„Mennoooo!“

Mehr Infos zum Büchlein beim Kleinen Krebs Verlag.

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