Wir sind keine Helden.

Früher war alles viel besser. Seit dem großen griechischen Philosophen Platon – es ist also schon ein paar Jahre her – gibt es den Mythos vom sogenannten „Goldenen Zeitalter“, der die vergangene Generation verklärt. Das erst Spannende, dann zunehmend Lächerliche dabei: Seitdem macht dies jede Generation mit der vorherigen.

Früher war alles viel besser. Ich gebe zu, dass ich auch zu dieser Behauptung neige, insbesondere, wenn ich mein vorlautes Mundwerk nicht im Zaum halten kann und mich in erzieherische Fragen einmische. Glücklicherweise korrigiert die wunderbare Mutter meiner Söhne die armseligen Aussagen des Vaters sofort UND glauben die Jungs mit Eintritt in die Grundschule kaum noch etwas, was ich behaupte. Und das ist gut so, hoffe ich zumindest.

Eine bizarre Variante des Platonischen Mythos geistert seit ein paar Jahren durch die Sozialen Medien. Es begann mit „Geboren vor 1960 – WIR WAREN NOCH HELDEN“ (letzteres immer in Großbuchstaben in die Online-Welt hinausgebrüllt), fand mit „Geboren vor 1970“ seine Fortsetzung, hörte mit „Geboren vor 1980“ noch nicht auf, und lässt befürchten, dass bald ein „Geboren vor 2000“ erscheint.

Seltsamerweise unterscheiden sich die Texte bis auf die Jahreszahl zu Beginn nicht. Ich finde ja, dass das der Heldensage etwas an Kraft nimmt und sogar die Glaubwürdigkeit in Frage stellt, was wiederum nicht unbedingt für meine Generation und allen Nachfolgenden spricht. Jedenfalls: Da ich die Urheberschaft des Textes nicht ausfindig machen konnte (wohl auch wegen der historischen Ungenauigkeiten 😉), habe ich den Text als Anhang angefügt. Sollte es tatsächlich jemand geben, der ihn nicht kennt (was ich bezweifle), kann er sich gerne davon überzeugen, wie frei, gefährlich und wild die Kindheit früherer Generationen war ….

… die nicht unbedingt meine war. Zugegeben, es trifft vieles zu UND JA, ich persönlich hatte eine weitestgehend sehr glückliche Kindheit, aber es wird auch einiges verschwiegen. Zum Beispiel, dass (Reihenfolge spontan und ohne Wertung)

  • wir uns so oft so unglaublich langweilten und keineswegs immer etwas mit dieser Zeit anfangen konnten.
  • man Angst hatte vor den Schlägern. Also richtig Angst und das keineswegs zur selbstbewussten Persönlichkeitsentwicklung beigetragen hat.
  • noch heute viele hochprozentig darunter leiden, dass sie schon als Kind am Bier vom Vater nippen durften.
  • der Außenseiter und Looser im Sport zwar lernte, wie man verliert, und deshalb heute entweder gänzlich gescheitert ist oder im Gegenteil als manisch Erfolgreicher dem damaligen Klassenliebling das Leben in seiner Firma zur Hölle macht.
  • wir uns sehr, sehr oft verletzten und dass das damals genau so weh tat wie heute. Dass wir nicht weniger heulten und schrien, wenn wir barfuß den großen Zeh in die Fahrradspeichen bekamen, und nach der Mama riefen.
  • viele von uns sich ein Bein oder einen Arm brachen – und heute noch schlecht verheilte Narben davon erzählen, dass die medizinische Versorgung nicht immer die beste war. Ein Glasauge von Stein oder Holzsplitter, die Betroffenen können sicher darauf verzichten.
  • wir auf der Straße spielen konnten, weil nur alle halbe Stunde mal ein Auto vorbeikam.
  • wir zwar ohne Gurte im Auto saßen, aber die auch nicht sonderlich schnell fuhren. Abgesehen davon war es für die Gesundheit viel schädlicher, dass in den meisten Familienautos die Eltern rauchten.
  • der böse Nachbar unseren Ball behielt, wenn er über den Zaun geworfen wurde.
  • eine ausgeprägte Klassengesellschaft vielen von uns das elterliche „Das können wir uns nicht leisten“ mit auf den Weg gegeben hat. Förderung sieht anders aus.
  • Kirche und Gesellschaft die Frauen in untergeordnete Rollen zwängten und Homosexuelle in eine grausame Einsamkeit trieben.
  • die Allergien noch nicht so häufig waren, weil wir gerade erst dabei waren, die Luft zu versauen und Lebensmittel mit Chemie zu versetzen. Der Vorteil: Das Essen hielt damals einfach länger 😉.
  • kratzende Pullis und Hosen nicht heldenhaft, sondern einfach nur eklig waren.

Damals war nicht alles besser, aber auch nicht alles schlechter. Wenn es überhaupt Helden gab, dann unsere Großeltern, die barfuß dreißig Kilometer durch den Schnee zur Schule laufen mussten. Die hatten aber den Krieg.

Wir sind keine Helden. Wir hatten schlichtweg nur unglaubliches Glück.

ANHANG:

*Geboren vor 1980 – WIR WAREN NOCH HELDEN

Wenn du nach 1980 geboren wurdest, hat das hier nichts mit dir zu tun! Vergiss es! Kinder von heute werden in Watte gepackt…

Alle anderen bitte weiterlesen!

Wenn du als Kind in den 60er oder 70er Jahren lebtest, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten!

    • Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt mit Farben voller Blei und Cadmium.
    • Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit dem Bleichmittel.
    • Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen, und auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm.
    • Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen. Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar.
    • Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. – Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren, und wir hatten noch nicht mal ein Handy dabei!
    • Wir haben uns geschnitten, brachen uns Knochen und Zähne, und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle, und niemand hatte Schuld, außer wir selbst. – Keiner fragte nach „Aufsichtspflicht“. Kann sich noch jemand an „Unfälle“ erinnern?
    • Wir kämpften und schlugen einander manchmal grün und blau. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht besonders.
    • Wir aßen Kekse, Brot mit dick Butter, tranken sehr viel Cola und Limo und wurden trotzdem nicht zu dick. – Naja, zumindest nicht jeder….
    • Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche, und niemand starb an den Folgen.
    • Wir hatten nicht: Playstation, Nintendo 64, X-Box, Videospiele, 64 Fernsehkanäle, Filme auf Video oder DVDs, Surround Sound, eigene Fernseher, Computer oder Internet-Chat-Rooms.
    • WIR HATTEN FREUNDE!!!
    • Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße. – Oder wir marschierten einfach zu deren Heim und klingelten. Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln und gingen einfach hinein; ohne Termin und ohne Wissen unserer gegenseitigen Eltern. Keiner brachte uns und keiner holte uns…. – Wie war das nur möglich?
    • Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die Prophezeiungen trafen nicht ein: Die Würmer lebten nicht in unseren Mägen für immer weiter, und mit den Stöcken stachen wir auch nicht besonders viele Augen aus.
    • Beim Straßenfußball durfte nur mitspielen, wer gut war. – Wer nicht gut war, musste lernen, mit Enttäuschungen klarzukommen.
    • Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte damals (noch) nicht zu emotionalen Elternabenden oder sogar zur Änderung der Leistungsbewertung.
    • Unsere Taten hatten manchmal auch Konsequenzen. – Das war klar, und keiner konnte sich verstecken.
    • Wenn einer von uns sogar gegen das Gesetz verstoßen hat, war klar, dass die Eltern ihn nicht automatisch aus dem Schlamassel heraushauen. Im Gegenteil: Sie waren oft sogar der gleichen Meinung wie die Polizei! – So etwas aber auch!
    • Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht.
    • Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung, und mit alledem wussten wir
      umzugehen!

Gehörst DU auch dazu?!? Dann Herzlichen Glückwunsch!!!

geb. nach 1980 => So, jetzt wisst ihr Warmduscher das auch!!!
geb. vor 1980 => WIR WAREN NOCH HELDEN!!

 

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