So schlimm war es noch nie!

Lauter Deppen! Nur noch Idioten unterwegs?! Man sollte sie allesamt einsperren! Habt Ihr den Schuss nicht gehört!? Ich habe es schon immer gesagt!

Das Wichtigste an Sätzen wie diesen ist das doppelte Ausrufezeichen, das selbst hinter Fragen steht. Es sind keine resignierten Einsichten, keine fatalistischen Bekenntnisse, keine leise Verzweiflung, sondern Ausrufe voll Ärger und Zorn, die durch die Sozialen Medien plärren und mit martialischem Brustklopfen drohen: „Wartet nur, bis ich euch erwische!“

Gerne spricht man vom digitalen Zeitalter, von der Generation der Künstlichen Intelligenz. Ich aber behaupte: Wir befinden uns in der Epoche der Empörung. Alle Dämme von Zurückhaltung, Gelassenheit und Höflichkeit sind gebrochen, die Gesellschaft hat sich in einem psychischen Grundzustand eingerichtet, in dem sich jeder einzelne virtuell austoben darf – und auf kürzestem Wege online Verbündete findet.

Die Freigänger-Katze, die vom besorgten Nachbarn gefüttert wird – wie schlimm ist das denn? Oder die Fotos, natürlich im Zoom-Modus, von Hundehaufen am Straßenrand und von vermüllten Plätzen im Park. Im kollektiven Reflex reiht sich wütender Kommentar an den nächsten, steigert sich die Empörung ins Unermessliche & hallen die Rufe nach Staat, Polizei und schließlich Selbstjustiz durch die diversen Facebook-Gruppen und Twitter-Accounts.

Nein, ich will Hundekothaufen nicht schönreden, zumal ich mich dank fehlenden Zaunes regelmäßig über solche im Garten ärgere. Ich finde es auch alles andere als richtig, wenn Unrat die Wege säumt und Dinge beschädigt werden. Aber war es „früher wirklich alles viel besser“, wie die Empörten nie vergessen zu erwähnen? Befreit von romantischer Nostalgie (der ich zuweilen inbrünstig huldige) sind meine Erfahrungen ganz andere, auch weil es in meiner Jugend noch keine Hundekotbeutel gab.

Nicht selten feuert der verbale Heckenschütze aus der sicheren Deckung des anonymen Online-Profils, die Sozialen Medien sind ein perfekter Nährboden bzw. ein funktionierendes Ventil für Leute, die ihren Frust loswerden müssen. Facebook als kostengünstiger Therapeutenersatz – aus diesem Blickwinkel mutiert Mark Zuckerberg vom „Big Brother“-Kapitalisten zum Menschenfreund. Ich sollte ihm eine E-Mail schreiben und mich für alle bisherigen Unterstellungen entschuldigen.

Die Dialektik der Moderne, in der sich Gegensätze vereinen, offenbaren zwei Beispiele: Die Schimpftiraden über die verwahrloste Jugend strotzen vor Rechtschreibfehlern, kein anderer „Verlust“ wird so wortreich ins Feld geführt wie die Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Beide Paradoxa beinhalten eine Logik, die mich immer wieder ins kindliches Staunen versetzt.

Mir ist Ironie ein Überlebensprinzip, weil sie sie mir erlaubt, mich ernst, aber nicht allzu wichtig zu nehmen. Im Zeitalter der Empörung sind ein vorlautes Mundwerk und ein Augenzwinkern die Provokation schlechthin für alle Moralisten. Das verstehe ich – muss aber um Nachsicht und sehr häufig um Verzeihung bitten, weil ich es nicht ändern kann. Ich habe es oft versucht, ganz sicher!!

Dass ich kommunalpolitisch tätig bin, noch dazu Mitglied in einer Partei, … das würde jetzt zu weit führen. Aber ich akzeptiere den Vorwurf „Selber schuld“. Genau so wie Max Mustermann, der jede empörte Massen-Tirade mit einem „Haben wir sonst keine Probleme“ kommentiert.

Ganz ehrlich: Wut, Zorn, Ärger, Verzweiflung gehören zum „Mensch sein“ dazu, sind wichtig. Ich wehre mich nur dagegen, wenn es in der fortwährenden Wiederholung von Stereotypen langweilig wird. Ich finde, mit dem plumpen Reflex fehlt es an Wertschätzung gegenüber tiefen Gefühlen. Man sollte Empörung viel ernster nehmen … und dazwischen mit Freunden ein Bier trinken.

Bild von A life without animals is not worth living auf Pixabay

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