„Geiz ist geil“ – nie war ein Werbespruch verlogener. Nicht, weil er den Geiz und die Hatz auf Billiges zum Prinzip erhebt, sondern weil er das genaue Gegenteil im Sinn hat. Der wahrhaft Geizige nämlich wird sich nämlich nicht wie die Rabatt-Lemminge dazu verführen lassen, unnötig Geld auszugeben. Er wird es behalten. Punkt.
Eine der einschneidendsten Begriffsumdeutungen meines bisherigen Lebens betrifft das Wörtchen „geil“. Bis Mitte der 80er noch konsequent triebhaft, mutierte es plötzlich zum lobenden Ausruf für alles, was man gut findet. Das führte zuweilen zu skurrilen Situationen wie zum Beispiel im Elternhaus meines besten Freundes Markus.
Tief katholisch im hintersten Winkel Bayerns führte Familie Birzer ein durchaus geruhsames Leben – bis Sohnemann Markus von seinem Studium im Hamburg ein paar Freunde mitbrachte. Und die fanden alles „geil“, was es hier gab: Die Knödel und den Schweinebraten von Mama Birzer, den selbstgeschreinerten Tisch von Papa Birzer und das Flötenspiel von Enkelin Katharina (Tochter von der Schwester von Markus). Es dauerte ein, zwei Tage, bis Mama und Papa Birzer samt Nachbarschaft die Gäste aus Norddeutschland nicht mehr von der Polizei wegen Unzucht abholen lassen wollten….
Ich will mehr und ich will es billig. Der Maxime unserer Tage begegne ich auf unterschiedlichste Art und Weise einmal mehr und einmal weniger erfolgreich. Ein paar Beispiele:
- Gespräche mit Bekannten und Freunden zeigen es mir beinahe täglich: Ich lebe viel zu teuer, denn ich zahle zu viel für Strom und Gas, für Auto und Benzin, für Versicherungen und für Klamotten. Letzteres naturbedingt, denn meine Größe findet sich auf keinem Schnäppchenständer.
- Ich blättere gerne in den wöchentlichen Flugblättern der Discounter und Supermärkte, was mir reichlich Hohn und Spott meiner geliebten Gattin einbringt. Für sie ist es das „sonderbare Verhalten eines alten Mannes“, dabei schneide ich noch nicht einmal die Angebote aus, die mich begeistern. Zumal ich beim Einkaufen eh vergessen habe, wo und was es gerade besonders billig gibt.
- Als Mitglied eines Stadtrats muss ich regelmäßig über die Auftragsvergabe von Bauvorhaben abstimmen (und diskutieren und streiten natürlich auch). In dem von der Bauverwaltung penibel aufbereiteten Vorlagebericht werden stets die Angebote aufgelistet – die gesetzlichen Regelungen wollen es, dass der günstigste Anbieter zum Zuge kommt. Weil der aber nicht unbedingt der beste und zuverlässigste ist und/oder manches Gewerk viel zu billig angesetzt, wenn nicht sogar „vergessen“ hat, ergibt die Rechnung unterm Strich meist: Zum Schluss war es viel teurer … glücklicherweise ziehen sich Bauvorhaben gerne in die Länge, so dass sich keiner mehr daran erinnern kann. Abgesehen davon, dass die Bauverwaltung sehr gute Gründe anführen (späte Erkenntnisse, Rohstoffpreise, Auftragsmarkt, Natur- und sonstige Katastrophen, die Schwiegermutter etc.) kann.
- In meinen Text-Seminaren animiere ich die Teilnehmer*innen sehr gerne zu kreativen Headlines und Werbebotschaften. Wir machen viele Übungen, suchen schöne Bilder, finden originelle Ideen – und sind ganz begeistert darüber, wie man mit einer ungewöhnlichen Überschrift der Langeweile entkommt. Auf die Frage, was ich dann im Ernstfall tatsächlich schreiben würde, antworte ich aber: „Irgendwas mit Rabatt oder kostenlos.“
So viel zum Aspekt „billig“, der meist als „günstig“ daherkommt. Weniger lustig und leider Ironie-frei ist Geiz als eine wesentliche Charaktereigenschaft, die ich für meinen Teil zu den unangenehmsten überhaupt zähle. Es verwundert kaum, dass Geiz bzw. Habgier (lateinisch „Avaritia“) nach der Lehre der katholischen Kirche zu den sieben Hauptlastern gehören
Der Einwand, dass eine Aufnahme in den Katalog der Hauptlaster daran gebunden ist, dass das Laster beim Klerus besonders ausgeprägt zu finden ist, entspricht freilich purer Verleumdung. Oder auch nicht.
So oder so gehört also Geiz dazu und ist für mich neben dem Neid etwas, dass ich zutiefst verabscheue. Im Gegensatz zu den fünf anderen Hauptlastern „Hochmut, Wollust, Zorn, Völlerei und Faulheit“, denen ich eine gewisse Nachsicht entgegenbringe, manchmal sogar ein stilles Faible.
Geiz jedenfalls ist nicht das Gegenteil von Großzügigkeit, sondern die Triebfeder, um andere zu übervorteilen. Das treibt zuweilen seltsam-peinliche Blüten, wenn der Geizige beim gemeinsamen Restaurantbesuch wegen „Alles auf eine Rechnung, wir teilen dann einfach durch 6“ die teuersten Meeresfrüchte bestellt, obwohl ihm das Zeug gar nicht schmeckt. Oder wenn er beim Campen sich vom gemeinschaftlich besorgten und bezahlten Frühstück das vierte Zuckerhörnchen in die Backen schiebt – aus Angst, ein anderer könnte mehr abbekommen.
Nein, Geiz ist nicht geil. Geiz ist entweder dumm oder erbärmlich. Häufig sogar beides.