3:30 Uhr. Wenn nächtens der Schlaf mich flieht,

Ich habe mich getraut. Vor wenigen Wochen. Ich habe im Kreis meiner Bekannten davon erzählt, dass ich mindestens einmal in der Nacht aufstehen und aufs Klo muss. Seit wenigen Wochen haben ein paar Kumpel und ich eine WhatsApp Gruppe, die sich gerne zwischen 2:30 und 3:30 Uhr virtuell trifft und über die Dinge der Welt plaudert. Aber der Reihe nach…

Mittlerweile habe ich es nachgelesen. Ich leide unter sogenannter „Nykturie“, wie der nächtliche Harndrang medizinisch bezeichnet wird und nichts anderes bedeutet: Ein bis mehrmals muss man in der Nacht raus. Es ist eines der nicht erzählten Männer-Themen unserer Zeit.

Exkurs: Die Disney+ Serie „The Old Man“ mit dem legendären Jeff „The Dude“ Bridges hat mich bereits mit der ersten Szene gefixt, denn in ihr sieht man den Hauptdarsteller aufwachen, aufs Klo gehen, ins Bett gehen, aufwachen, aufs Klo gehen … nie hat ein Film schneller und besser einen „Old Man“ beschrieben, ohne es explizit zu benennen.

Manchmal schlafe ich danach sofort wieder ein, immer häufiger gelingt das aber nicht. Es gibt einfach zu viele Dinge, die im Kopf zu wirbeln beginnen. Die in der Dunkelheit der Nacht plötzlich an Bedeutung gewinnen, die sie tagsüber nicht gehabt haben. Bereits abgehakte Geschichten werden wieder lebendig – oh, wie vielen Menschen habe ich in diesen Stunden bereits meine Meinung gegeigt und dabei immer eine heroische Figur abgegeben.

(Wie überhaupt ich in „meinen“ Geschichten gerne mit meiner Bescheidenheit kokettiere, diese letztlich aber nur der ultimative Beweis meines makellosen Charakters ist. Das aber ist ein anderes Thema … also nicht, dass ich ein unglaublich bewundernswerter Kerl bin, sondern eher, dass ich zum Selbstbetrug neige …)

Zurück zum Schlaf. Noch mehr als das Grübeln hindert mich daran der Gedanke, in der Früh aufstehen und im Idealfall fit für das Tagwerk sein zu müssen. Ich beginne also zu rechnen, zähle drei Stunden Schlaf und denke mir, dass dies definitiv zu wenig ist. Das wiederum setzt mich in helle Aufregung, die wiederum wenig überraschend das Einschlafen verhindert.

Noch ein kleiner Exkurs: Die beschriebenen Schlafstörungen betreffen nur das nächtliche Aufwachen und nicht das abendliche Einschlafen. Das funktioniert nämlich bei den meisten Männern tadellos, meine Frau nennt es „abruptes Fallen in tiefe Bewusstlosigkeit mit anschließendem Schnarch-Konzert“.

Wenn ich mich also zwischen 2:30 und 4:00 wach im Bett wälze, dann stehe ich auf. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ab man Single oder Teil eines Paares mit gemeinsamem Schlafzimmer ist: Allein macht man die Nachttischlampe an und liest oder schaut auch TV, sofern ein entsprechende Fernsehgerät im Schlafzimmer ist. Als glücklich verheirateter Ehemann nehme ich dagegen Rücksicht und schleiche mich aus dem Schlafzimmer bzw. versuche es.

Da die geliebte Ehefrau gerne in absoluter Dunkelheit schläft und die Fenster blick- und monddicht verbarrikadiert hat, verfehle ich in der Regel den kürzesten Weg zur Tür, stolpere gerne über meine Hausschuhe (früher waren es die vergessenen Lego-Steine der Jungs) – und krache gerne an den Schrank. Während ich den Schmerzensschrei unterdrücke, hat meine Frau zu atmen aufgehört. Wir tun aber meist beide so, als ob sie noch schläft, denn nächtliche Diskussionen bringen einerseits wenig und ich bekomme noch früh genug am nächsten Morgen meine laute Tollpatschigkeit aufs Frühstücksbrot geschmiert.

Es ist also etwa 3:00 Uhr, wenn ich fünf Nächte in der Woche am Küchentisch sitze. Selten lese ich dann etwas, manchmal trinke ich einen Lavendel-Tee – die meiste Zeit aber schaue ich bei einem Bier eine niveaulose Netflix-Serie. Genauer gesagt: Ich schaute … bis vor etwa drei Wochen:

Es war ein Abend mit einigen befreundeten Pärchen, die Stimmung wurde mit ansteigendem kollektiven Alkoholpegel etwas ausgelassener, was heißt: Die Männer frotzeln dann gerne über die Marotten des anderen, an diesem Abend war ich dran, als ich innerhalb von zwei Stunden dreimal zum Pieseln musste. Ein Wort gab das andere, auf die durchaus folgerichtige Frage von Michael, ob ich denn auch in der Nacht…, antwortete ich mit einem ehrlichen „Ja“.

Ich erwartete weitere Häme, das Gegenteil war allerdings der Fall: Ein vielstimmiges „Ich auch“ schmiedete in wenigen Sekunden ein besonderes Band zwischen uns Männern, seitdem treffen wir uns jede Nacht gegen 3:00 Uhr im Chat. Das bis dato genervte Wachstadium änderte sich grundlegend. Kurzweilige Gespräche ersetzen Netflix, was ich bis dahin gelesen habe, erfuhr ich jetzt aus berufenem Freundes-Munde. Weil wir aber Männer sind, die gerne an ihren Ritualen festhalten, haben wir beschlossen, am Bier als Begleitung nicht zu rütteln.

Und zugegeben: In besonders schönen Nächten sind es auch mal zwei.

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