Immer zu spät…

Die Pressemeldung sollte ich bereits vergangene Woche abgeben, bei der Verlängerung des Reisepasses wird es jetzt richtig knapp. Das Konzept für meinen größten Kunden liegt bereits seit Wochen halbfertig herum, die nette Frau Müller von der Marketingabteilung des Unternehmens hat glücklicherweise Geduld mit mir. 

Unterscheidung: Ich habe nichts mit denjenigen Mitmenschen zu tun, die zu spät zu Terminen kommen, den Bus versäumen oder Ähnliches. Deren Nonchalance im Umgang mit der Zeit der anderen ist nicht meine, im Gegenteil: Ich bin gerne verbindlich. Allerdings schlägt dies seltsamerweise nicht über auf eigene Arbeiten und deren pünktliche Erledigung zurück.

Meine Crux: Ich bin immer hinten dran und befinde mich deshalb im dauerhaften Verteidigungsmodus, der belastet – und lange Jahre meine Kreativität unerschöpflich schürte, wenn es darum ging, mal mehr und mal weniger überzeugende Erklärungen vorzubringen. Bevor ich erkannt hatte, dass es immer besser ist, sofort Bescheid zu geben, nutzte ich diverse Taktiken:

1)     Der Klassiker: ICH WAR KRANK. Als Selbstständiger jedoch von minderem Wert, weil eine schwache Konstitution des Dienstleisters in harten Zeiten den Kunden schnell nach Alternativen schauen lässt.

2)     Immer gut: DIE BAHN! Deren Unzuverlässigkeit kennt jeder, bei dieser Begründung gibt es ein mitfühlendes Schulterklopfen inklusive.

3)     Zwar innovativ und kreativ, aber nur bedingt und nur bei ausgeprägtem Humor des Kunden einsetzbar: STURZFLUTEN und BLITZEINSCHLÄGE, SPONTANE HILFSRETTUNGEN (z.B. der Katze des Nachbarn); SAUFGELAGE (mehrtägig) mit anderen Kunden und sonstige Katastrophen.

4)     Glaubt zwar keiner, akzeptiert aber jeder: SYSTEMABSTURZ des PC, COMPUTERVIRUS aus dem Internet. Die in der Praxis zweitbeste aller Strategien, denn an der Spitze rangiert mit großem Abstand die …

5)     … ATTACKE: Noch bevor der Kunde nach der eigenen Arbeit fragen kann, bei ihm Dinge einfordern, die zur Erledigung des Auftrags unbedingt notwendig sind. Der Könner in dieser Disziplin wird hier peu à peu viel, sehr viel Zeit herausschinden können.

Aber zurück zur eigentlichen Frage. Woran liegt es: Zu viel versprochen (gerade bei Terminen), zu viel vorgenommen (wie war das noch mit dem „Nein“ sagen?), falsche Prioritäten oder zu wenig Disziplin? Oder alles in Kombination oder – weil ich gerne nehme, was ich bekomme – alles zusammen?

Eines weiß ich gewiss: Je näher ein Termin zur Abgabe rückt, desto lieber lasse ich mich ablenken. Von den diversen Übersprunghandlungen kann ich wahrlich ein lautes & unheilvolles Lied singen. Früher waren es noch Staubsaugen, Bügeln, Regale aufbauen und Joggen, heute ersetzt dies alles der Computer. Eigentlich sollte ich noch den letzten Absatz schreiben, aber da gibt es Facebook mit den vielen Postings, und gibt es YouTube mit den vielen Musik-Filmchen …

Das größte Dilemma aber ist: Meist schaffe ich es in letzter Sekunde. Als Meister der Aufholjagd, der den allerletzten Drücker zu seinem Lebensprinzip erkoren hat, berausche ich mich dann gerne an mir selbst. „Ich bin ein richtiges Tier!“ juble ich … und mache erst einmal eine ausgiebige Pause. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Pausen immer zu lange währen und ich sofort damit beginne, die aufgeholte Zeit fahrlässig zu vergeuden. Also doch mangelnde Disziplin?

Eine andere These, die mir persönlich sympathischer ist, behauptet, dass mein „ZU SPÄT und ZU KNAPP“ daran liegt, dass ich in der ersten Schulklasse eine Woche krank war. Sieben Tage, die ich nie mehr wirklich aufgeholt habe. Ich bin mal gespannt, ob ich auch zum Sterben zu spät komme.

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