Eine SMS für Sie: „Happy New Year!“

Es war Silvester und ich hatte mit vielen Freunden und einigen Verwandten im Hotel das passende Buffet gebucht. Es hat geschmeckt und der Uhrzeiger rückte unaufhaltsam gen Mitternacht. Inmitten sehr vieler Menschen fieberte ich dem Jahreswechsel entgegen – freudig erregt der wilden Knutscherei harrend,

der man sich allein in diesen Minuten ungestraft mit bekannten, fremden und wildfremden Menschen hingeben darf … selbstverständlich, nachdem die anwesende Liebste nach allen Regeln der männlichen Kunst geherzt und geknuddelt haben wird.

Und nach diesem lustvollen Einstieg ins Neue Jahr, der selbst Sekt erträglich macht, sollten mindestens fünf frisch gezapfte Bier fürs frische Neue Jahr folgen, bevor ich um spätestens 2:20 Uhr erschöpft, aber zufrieden ins Bett fallen wollte – man ist schließlich nicht mehr der Jüngste.

 Das war der Plan.

Dann rückte Mitternacht immer näher, die Meute mit mir leicht links vom Zentrum schaukelte sich im Takt des Countdowns und zur Musik von „Final Countdown“ dem Höhepunkt entgegen, der mit einem kollektiven Aufschrei und mit Feuerwerk endlich explodierte.

Pünktlich legte der Disc Jockey „Winds of Change“ ein, die Umarmung mit der angebeteten Partnerin war glücklicherweise so innig, dass ich das Pfeifen des Skorpions überhörte (beim letzten Mal hatte ich noch Tage unter den Folgen gelitten).

Das Jahr fing gut an und ich war guter Dinge – und kurz darauf auf der „Happy-New-Year-Jagd“!

Doch wie geschah mir: Links ein Fräulein im SMS-Fieber, rechts ein Fräulein im WhatsApp-Rausch. Und vor mir eine Frau, die gleich auf zwei Smartphones hektisch ihre Glückwünsche eintippte. Dazwischen weitere Fräuleins und Männleins, die ihre Facebook, Twitter und Instagram-Accounts mit lustigen Happy New-Year-Filmchen malträtierten.

Keiner sprach, jeder stierte auf ein kleines Display. Zaghafte Versuche von mir, Neujahrswünsche persönlich zu überbringen, wurden mit genervten Blicken und abweisenden Gesten im Keim erstickt. Einzig ein „Lass uns ein Selfie“ machen, ließ den Kopf kurz nach oben schnellen, eingefrorenes Lächeln inklusive.

Die allgemeine Stimmung war am Tiefpunkt, was allerdings (ausnahmsweise) nicht an meiner Penetranz lag, sondern am obligatorischen Zusammenbruch des Mobilfunk-Netzes. Mochte man noch so viele SMS schicken, es gab kein Durchkommen – und das eigene Warten auf einen beweglichen Glückwunsch wurde zur Qual. So viel Mühe und kein Lohn.

„Ich war noch niemals in New York“ klagte jubelnd derweil Udo Jürgens vom altertümlichen CD-Player des Hotels. Das passte, denn ich war auch noch nicht dort. Und ich war einsam, was dazu führte, dass ich ebenfalls zu meinem Smartphone griff um meinem Freund auf La Gomera eine Messenger-Nachricht zu schreiben. Jeder, der mich und meine Geschicklichkeit in solchen Dingen kennt, wird wissen, dass ich mit dieser Aufgabe, die man in modernem Deutsch Herausforderung nennt, bis gestern beschäftigt war.

Heute bekam ich eine SMS mit Neujahrswünschen von meiner Schwester. Es wurde abgeschickt am 1. Januar um 0:25 Uhr.

Sie stand vorgestern übrigens neben mir.

 

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