Ende der 70er Jahre übertrat ich, erwartungsfroh und verzweifelt zugleich, die Schwelle vom Kind zum jungen Mann und musste feststellen, dass sich in der Beziehung zu den Mädchen erst einmal nichts änderte. Weil ich die Hoffnung aber nicht aufgab, kaufte ich mir wie meine Altersgenossen großformatige Poster mit eindrucksvollen Fotografien von Naturgewalten (Gewitter und Sonnenuntergänge). Die Mädchen hatten sie aus diversen Katalogen bestellt.
Warum auch immer: In den nächsten sechs Jahren hing ein Poster über meinem Bett, auf dem zwei ältere Herren in einem Kahn auf einem See vor grandiosem Panorama saßen, darunter der weise Spruch: „A friend is someone, you can be silent with.”
„Ein Freund ist jemand, mit dem du schweigen kannst. Ohne dich dabei unwohl zu fühlen.“ Der von mir für mich ergänzte zweite Satz wurde zum Leitmotiv meines Lebens und prägte im Umkehrschluss meinen Charakter. Denn ich kann in Gegenwart von Menschen nicht schweigen, wenn sie nicht meine Freunde sind.
Ich wurde also zum Klassenkasperl und Pausenclown. Zum Kommunikator. Nicht freiwillig, sondern von den Schweigern getrieben. Sieben Menschen in der Stammkneipe an einem runden Tisch im Jahre 1983 – ich war dabei. Nach gezählten 10 Minuten und gefühlten 5 Tagen hatten sie mich weich gekocht, denn keiner sagte was. Bis ich anfing, Geschichten zu erzählen….
Es gibt ganz verschiedene Arten von Schweigern, die man entweder (zu) spät oder gar nicht der jeweiligen Gruppe zuordnen kann. Denn das eine Schweigen ist erst einmal nicht vom anderen Schweigen zu unterscheiden.
Da gibt es diejenigen, die Gesellschaft anwidert und die ihr dennoch nicht entfliehen wollen. Sie kommunizieren nicht, weil sie das Gegenüber als nicht wert erachten, an den eigenen Gedanken teilzuhaben. Zugegeben, in meinem Leben bin ich dieser Spezies von Schweigern nur selten begegnet – meist beruflich, wenn pure Berechnung den Kontakt suchte.
Weit häufiger traf ich müde Menschen, bei denen man sich aber fragt: Warum sind sie nicht im Bett? Haben sie Angst etwas zu versäumen? Müssen sie immer dabei sein?
Nicht zu vergessen all diejenigen, die wirklich nichts zu sagen haben, sobald ihre Themen (bevorzugt Hausbau, Auto oder Allgemeinplätze wie „Sterben müssen wir alle“ oder „in der Politik sind doch alle Verbrecher“) erschöpft sind. Für sie ist Geselligkeit eher Ritual, sie empfinden einen schweigsamen Abend durchaus als etwas Normales. Unwohlsein in der gemeinschaftlichen Stille? Fehlanzeige!
Schließlich die Geheimnisvollen: Sie umweht die Aura intellektueller Verwegenheit und internationaler Größe. Sie beantworten eine Frage mit einer Gegenfrage und ersetzen elegant eine Aussage wie „Ich mache mit meiner Freundin in Italien Urlaub“ durch ein „Ich reise in einer Kleingruppe in die Toskana“. Auf Nachfrage erhält man ein nonchalantes „Kennt man nicht“. Ja, die Mysteriösen haben mir schon viel mehr als einmal meine Grenzen aufgezeigt – und ich hasse es, dass ich als Gegenmittel bis jetzt nur die Bösartigkeit gefunden habe. Die übrigens mit einem arroganten Lächeln quittiert wird.
Allen Schweigern gemein ist: Sie haben kein sichtbares Interesse an anderen. Ich habe in vielen Jahren in unzähligen Feldversuchen darauf gewartet, dass ich von einem Schweiger nach meinem Befinden gefragt werde – vergeblich. Allerdings, wenn ich ehrlich bin: Warum sollte er auch fragen, denn mittlerweile fange ich in Gesellschaft bereits nach wenigen Sekunden zu erzählen an.
Ein Schweige-Risiko gehe ich nicht mehr ein. Und irgendwie sind die Schweiger froh darüber, denn über einen Pausenclown lässt sich gut lästern. Was wiederum zur Kommunikation beiträgt, die ich gut finde …. und mich just in diesem Moment denken lässt: Warum erzähle ich das alles überhaupt?
Vielleicht sollte ich jetzt und häufiger schweigen.