Weihnachtsbrief 2016

Es ist Weihnachten. Schon wieder. Und es scheint, dass die Zeit immer schneller vergeht. Nein, das hat diesmal nichts mit den digitalen Medien, Arbeitsverdichtung und Freizeitstress zu tun, sondern mit meinen Eltern und Großeltern.

Die sagten nämlich, dass die Zeit schneller vergeht, je älter man wird. Sie hatten Recht, wie überhaupt sie in so vielen Dingen Recht hatten, die ich früher nicht glauben wollte. Meine Oma zum Beispiel meinte immer: „Bub, konzentriere dich auf das, was du gerade tust. Du kannst nur eine Sache richtig machen und nur einem Menschen gut zuhören. Tue es nacheinander, sage ich dir, nicht alles gleichzeitig.“

Weihnachten ist für mich ein, nein … es ist für mich DAS Nacheinander. Ich warte auf den ersten Advent, um die erste Kerze anzuzünden, lege dann Weihnachtsmusik (ja, immer noch Wham und Bing Cosby/David Bowie) auf, öffne jeden Tag gespannt nur ein Kästchen meines Weihnachtskalenders, backe erst Butterplätzchen und dann Schokoladenbrot, gehe an Heiligabend erst auf den Friedhof, dann in die Kindermette und und und.

Rituale sind ein Nacheinander. Ich liebe Rituale.

Natürlich trinke ich auf dem Christkindlmarkt nacheinander zwei Glühwein, den herkömmlichen, weil ich in solchen Sachen Traditionalist bin. Und ich weiß vorher, welchen Christkindlmarkt ich besuche – den Freunden zum Trotz, die mir die neue Weihnachtsmarkt-App nahe legten. Während ich dann am Glühwein nippe, staune ich über die Gruppe von Menschen, die alle auf ihre Smartphones stieren, tippen und wischen. Zwischendurch wird ein Selfie gemacht und auf Facebook gepostet um zu zeigen, wie gut man sich amüsiert.

Mein Weihnachten aber ist analog.

Ich misstraue zutiefst dem Bild, das Facebook und Co. bieten. Nicht weil es unwahr ist, sondern weil es traurig macht. Weil es so häufig Miteinander und Spaß vorgaukelt, wo genau diese fehlen. Gerade die einsamsten Menschen haben die meisten Fotos im Internet, auf denen sie andere umarmen. Seltsam, nicht wahr?

Die Sozialen Medien definieren das Dilemma unserer Tage. Heute haben wir Kontakt zu viel mehr Menschen, nur fehlt uns die Zeit für sie. Wir sind meist „gleichzeitig“ und so selten „nacheinander“. Meine Oma würde nur mit dem Kopf schütteln. Und sie würde darauf bestehen, dass die Familie an Weihnachten vor der Bescherung erst gemeinsam das schmutzige Geschirr abwäscht und abtrocknet. Ein Ritual, das selbst mein Opa nur ungeduldig akzeptierte, zumal es das erste Glas Becherovka erst nach den ausgepackten Geschenken gab.

Für mich ist Weihnachten eine sentimentale Auszeit, die gut tut. Die es mir erlaubt, Vergangenes zu lieben ohne in eine „Früher war alles viel besser“-Manie zu verfallen. Im Gegenteil: Ich glaube an die Zukunft, auch wenn ich sie manchmal fürchte. Ich glaube deshalb daran, weil ich in den vergangenen Monaten wieder jungen Menschen begegnet bin, die mir trotz allen Vorurteilen gezeigt haben, dass sie Klasse besitzen. Dass sie bereit sind, nach ihrem eigenen Schicksal zu suchen und Bekanntes in Frage zu stellen. Die nicht einfach mitlaufen, sondern erst einmal hinterfragen und zweifeln. Die überzeugt Verantwortung übernehmen.

Solche Erfahrungen sind für mich ganz nahe am Wesen von Weihnachten.

Wegen der darin versprochenen Hoffnung.

Ob meine eigenen Jungs oder Azubis, denen ich in Seminaren etwas über Texten erzählen darf – ich versuche immer zu erklären, dass es wichtig ist, Entscheidungen zu treffen. Dazu gehört aber, davor zu fragen, was mir gut tut, und davor, wer ich überhaupt bin. Was mich zugleich anstrengt, nervt und glücklich macht: Wenn die jungen Leute nicht sofort alles glauben, was ich sage.

Zweifel bedeutet nicht, gegen Alles und Jeden zu sein. Im Gegenteil: Wer zweifelt, hört genau hin und nimmt ernst. Ich schätze diese Art des Respekts, zu dem häufig auch reichlich Mut gehört.

Drei meiner wichtigsten Lehrmeister waren Zweifler: Mein Vater, der mir die Bedeutung von Unabhängigkeit zeigte; Bernhard „bb“, der das professionelle Hinterfragen mit einem hohen Maß an Integrität verband, und Werner „wp“, der gerne fragte: „Verkaufen wir dadurch eine Fach-Datenbank mehr?“ Das klingt zuerst banal, birgt aber (nicht nur) in unserer Branche eine riesige Portion Weisheit. Auf jeden von euch dreien trinke ich heuer an Weihnachten einen Becherovka, ganz sicher!

Ich trinke außerdem auf meine Familie und Freunde, ob tot oder lebendig. Gerade an Weihnachten sind mir alle sehr vertraut – ich denke nacheinander an sie und fühle sie doch gleichzeitig. Meine Oma würde dazu sagen: „Ja, ganz selten ist das schon möglich. An Heiligabend zum Beispiel.“

Was mir 2016 vor allem gezeigt hat: Es ist auch in meinem Alter noch möglich, wunderbare neue Menschen kennenzulernen. Meist völlig unvermutet, manchmal auch nur für kurze Zeit. Ich sage ihnen und allen, die zu meinem Leben „gehören“, vielen Dank für die gemeinsamen, analogen Augenblicke. Sie sind mir wertvoll.

Und 2017? Ich möchte gerne freundlicher zu manchen Menschen sein, häufiger Musik hören, den Tango Argentino tanzen, von einem Berg schauen und die Füße in ein Meer halten.

Ich wünsche euch allen, dass Ihr euch häufiger erlaubt zu hinterfragen. Dass Ihr im Zweifel aber auch um die Wärme und Sicherheit wisst, die euch Freunde und Familie geben. Ich wünsche euch ein wunderbares Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr!

Bleibt bitte gesund.

Bernhard

Noch mehr Weihnachtsbriefe aus vergangenen Jahren.

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3 Comments

  1. Martine

    Hallo Bernhard,
    wie jedes Jahr ein wunderschöner Weihnachtsbrief.
    Wünsche Dir und Deiner Familie ein ruhiges, entspanntes Weihnachtsfest
    und einen guten Start ins neue Jahr 2017!
    Liebe Grüsse
    aus Regen im Bayerischen Wald

  2. Silvia Ebensberger

    Hallo Bernhard,
    etwas verspätet habe ich Deinen schön geschriebenen Weihnachtsbrief gelesen. Ebenso einige Deiner amüsanten aber auch zum nachdenken anregenden Geschichten, welche ich bestimmt auch in Zukunft lesen werde. Super geschrieben ….
    Liebe Grüße Silvia

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