Moderne Zwänge und das NO GO

Wenn alle es machen, wird es für den einen schwierig, der es nicht so macht.

Wir alle kennen dieses Bild vom „Fisch, der gegen den Strom schwimmt“. Damit versuchen uns Psychologen, Therapeuten, Motivationskünstler und Erfolgstrainer einzureden, dass an der Quelle des Flusses großer Erfolg, unermesslicher Reichtum und die wahre Erfüllung des Seins auf uns warten.

Wer allerdings dann wagt nachzufragen, ob man denn die Adresse von einem bekommen könne, der es gegen den Strom bis ans glückliche Ende, sprich den Ursprung des Sinns geschafft hat, lautet die lapidare Antwort meist: „Der Weg ist das Ziel.“ Für mich klingt das irgendwie nicht so ganz überzeugend …

Zurück zum Thema: Selbstverständlich stößt die Verweigerung eines allgemein definierten Konsens immer wieder an seine Grenzen. Im Dirndl und Lederhose tragenden Bayern zum Beispiel, wenn es um das Bairische geht. Wer zum Beispiel „Tschüss“ sagt, hat unversehens einen Dialekt-Lynch-Mob nicht nur im übertragenen Sinne am Hals.

Das NO GO trifft dich mitten zwischen die Schultern, ein „Geht ja gar nicht“ semmelt dich frei weg von den Beinen. Dazu dieser abfällige, erschütterte, kopfschüttelnde NO GO-Blick, der dir unmissverständlich für alle Ewigkeit sagen will: „Du bist keiner von uns. Wir wussten das schon immer.“

Mein Problem ist, dass auf ein NO GO mein erster Reflex immer der des Revoluzzers ist. Und der sagt: „Doch, das geht. Warum auch nicht? Warte, ich zeige es dir.“

Der wirklich dumme Nebeneffekt solch automatisierter Verhaltensstrukturen liegt darin, dass ich plötzlich Dinge verteidige, die ich gar nicht verteidigen will. „Tschüss“ zum Beispiel. Die Sache als solches tritt in den Hintergrund, das weite Feld für meine Fehler wird noch weiter.

Das ist ziemlich anstrengend, zumal ich vom ganzen Typ her ein NO GO bin. Meine Haare sind zu lang, meine Klamotten stammen zu großen Teilen noch aus den 80ern (Qualität geht so schnell nicht kaputt), ich esse die falschen Sachen (wenig Vitamine, viel Fett und Zucker und KEIN SUSHI), höre die falsche Musik, lese die falschen Bücher und schreibe nicht LOL, dafür aber häufig ganze und orthographisch korrekte Sätze.

Und ich sehe mir im TV bevorzugt Kochsendungen und das „Dschungelcamp“ an. Das ist natürlich ein absolutes NO GO. Wenn ich dann auch noch zugebe, dass ich Sonja Zietlow wegen ihres Humors UND wegen ihres Dekolleté klasse finde …

… was vielleicht fragwürdig sein mag, die Gedanken daran mir aber definitiv das Schwimmen gegen den Strom erträglich machen. Und in der Tat: Das geht sehr wohl.

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