Am Bungee-Seil hinab in den Urlaub

Wenn einer eine Reise tut, dann muss er was erzählen. Ich persönlich bezeichne diese althergebrachte Aufforderung mir unbekannten Ursprungs als „Nötigung vierten Grades“, die geruhsamen Menschen meiner Sorte die Tage versaut.

Und zwar jetzt in der Urlaubszeit, wenn alle Menschen, die etwas auf sich halten, natürlich „weil-es-im-Sommer-doch-hier-so-schön-ist“ nicht in den Urlaub gefahren sind, im Laufe der Grillabende aber, zu denen sie gerne einladen, von ihren Reisen im Frühjahr und ihren Plänen im Herbst inklusive aller „da-muss-man-hin“-Geheimtipps erzählen.

Früher war nicht nur alles viel besser, sondern auch einfacher. Mit zwei Wochen Muscheln sammeln in Cattolica war man der Held in der Schule, das spätere Bergwandern mit der ersten Freundin brachte den Ruf eines Abenteurers ein. Und wer einen Onkel in Amerika hatte und den sogar besuchte, der brauchte nicht einmal Adidas-Turnschuhe, um in der Clique den Ton anzugeben.

Heutzutage von solchen Urlaubserlebnissen zu erzählen, ist gesellschaftlicher Selbstmord. Den Atem des Wombat spüren auf den Songlines der Aborigines, in Alaska neben riesigen Grizzly-Bären Lachse fangen, Löwen im Krüger-Nationalpark füttern, in Luxus-Ressorts an mythischen Orten die Geheimnisse des … ach, ich weiß nicht, von wem – ich habe jedenfalls mit dem Kreditberater gesprochen: Es ist machbar und absolut in Ordnung, dass meine Söhne, die faulen Kerle, noch die Schulden abbezahlen müssen.

Am Abend jedoch, bevor ich die „Luxus-und-natürlich–will-ich-das-Land-und-die-Leute-kennen-lernen-Traumreise“ buchen wollte, erzählte mir beim Grillen ein Bekannter, dass mein Vorhaben in dieser Saison schon wieder völlig „out“ sei.

Er werde mit Freunden auf Inline-Skatern Richtung Alpen rollen und nebenbei in Berchtesgaden bei einem Triathlon den ersten Platz belegen. Siegesbekränzt erreiche er die Grenze und schwinge sich auf ein Mountainbike mit sage und schreibe 128 Gängen. Die seien auch nötig, immerhin radle er ganz locker über Stilfser-Joch und Brenner-Pass, um wenig später auf einem Gletscher eine kurze Kostprobe auf Trickskiern zu geben.

Damit keine Langeweile aufkomme, stürze er sich nach einer Canyoning-Tour abwärts und einer Rafting-Tour aufwärts am Bungee-Seil von der Europabrücke — und klettere ohne Seil und Haken an der Steilwand wieder hinauf. Und zum Abschluss noch kurz zum Gardasee, wo man erst ab Windstärke 12 vernünftig surfen könne.

Während der mir zunehmend unsympathische Bekannte dann von seinen Plänen in der Antarktis erzählte … schaute ich träumend auf mein sehr großes, sehr schweres Fahrrad mit drei Gängen, das am Gartenzaun lehnte. Nachdenklich trank ich einen Schluck aus der Bierflasche: Ob ich damit wohl bis zu den Songlines käme?

Eigentlich würde es aber auch genügen, meinen Garten zu erreichen.

Das Bier nehme ich jedenfalls mit.

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